Ex-Botschafter: „Das ist moralisch absolut verkommen.“

Der ehemalige Botschafter Großbritanniens in Syrien, Peter Ford, prangert seit Jahren den Krieg und die internationale Kampagne gegen Syrien an, deren derzeit schlimmster Ausdruck die todbringenden US/EU-Wirtschaftssanktionen sind. Ford ist Unterstützer eines internationalen Netzwerkes, das sich für die Beendigung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien einsetzt. Er gab schon 2021 Aaron Maté ein herausragendes Interview, dessen deutsche Übersetzung am 6. Januar 2021 auf den NachDenkSeiten veröffentlicht wurde und das wir hier aufgrund seiner Aktualität erneut wiedergeben dürfen.

AARON MATÉ: Kommen wir zunächst dazu, wie Sie Syrien heute sehen. Der Stellvertreterkrieg ist im Wesentlichen vorbei, doch jetzt gibt es eine neue Front – die Wirtschaftssanktionen, die den Wiederaufbau Syriens verhindern. Eine große Provinz, Idlib, wird noch von „Rebellen“ kontrolliert, und die USA besetzen den Nordosten des Landes. Wo steht denn Syrien in Ihren Augen heute, zehn Jahre nach Beginn des Stellvertreterkrieges?

PETER FORD: Nun ja, die Situation ist seit einem Jahr nahezu unverändert. Seit die syrischen Regierungstruppen einen Streifen des südlichen Idlib im März zurückerobert haben, herrscht praktisch ein Patt.

Zu jenem Zeitpunkt hat die türkische Armee massiv eingegriffen und die Kriegshandlungen praktisch beendet. Heute kontrollieren die Truppen der syrischen Regierung rund 70 Prozent des Landes. Daneben gibt es die widerständigen dschihadistischen Kämpfer, die die Provinz Idlib und einige Gebiete in den Nachbarprovinzen kontrollieren, und dann haben wir das große Land-Dreieck – das ich den Wilden Osten Syriens nenne – Tausend Meilen entlang der türkischen Grenze und dann südlich entlang der Grenze zum Irak. Und dieses Gebiet ist praktisch ein US-Protektorat. Dort sind US-Truppen, die von kurdischen Milizen, den sogenannten syrischen demokratischen Kräften, unterstützt werden.

Und durch ihre bloße Anwesenheit verhindern sie das Vorrücken der syrischen Regierungsstreitkräfte. Die Folge ist, dass das syrische Volk keinen Zugang zu den großen Ölreserven und der Kornkammer in dieser Region bekommt. Insofern ist der Krieg im vergangenen Jahr eher ein Wirtschaftskrieg denn ein militärischer Krieg gewesen.

AARON MATÉ: Der bisherige US-Vertreter der Anti-IS-Koalition, der Gesandte James Jeffrey, hat kürzlich eine Reihe von Interviews gegeben, in denen er die aktuelle US-Strategie für Syrien recht offengelegt hat. Er sagt: „Es geht im Grunde in erster Linie darum, der Assad-Regierung den militärischen Sieg zu verweigern… Und natürlich haben wir Assads Isolation und den Sanktionsdruck verschärft, wir haben darauf bestanden, dass Syrien keine Hilfe beim Wiederaufbau bekommt, die das Land unbedingt braucht. Sie sehen ja, was mit dem syrischen Pfund passiert ist, was mit der gesamten Wirtschaft passiert ist. Es war also eine sehr effektive Strategie.”

Wie würden Sie das kommentieren?

PETER FORD: Das ist moralisch absolut verkommen. Total erschütternd. Ein Geständnis, dass es die US-Strategie war, das syrische Volk zu bestrafen, weil man hoffte, so an Assad ranzukommen.

Die Politik ist insofern effektiv, als das syrische Volk darunter jeden Tag leidet. Die Menschen müssen sich lange anstellen, um Brot oder Benzin zu bekommen. Die Sanktionspolitik und die Verweigerung von Wiederaufbauhilfe erweist sich als effektiv, aber was ist das bitteschön für eine Politik, die versucht, ein ganzes Land ins Elend zu stoßen? Es ist eine wahnhafte Vorstellung, weil es nicht einmal funktionieren wird.

Die zehn Jahre lange Erfahrung mit diesem Konflikt legt nahe, dass die syrische Regierung erstaunlich widerstandsfähig ist. Sie hing schon oft in den Seilen und hat sich doch wieder aufgerappelt, weil sie von weiten Teilen der syrischen Bevölkerung unterstützt wird. Assad wird unter diesem neuerlichen verschärften wirtschaftlichen Druck nicht einknicken. Es ist vollkommen wahnwitzig zu glauben, dass diese zynische, kaltschnäuzige Politik aufgehen könnte. Diese Politik ist sogar nach ihren eigenen Maßstäben gescheitert, wenn das Ziel ein Regime Change in Syrien ist. Das wird nicht funktionieren. Es wird nicht hinhauen. Und doch schreckliches Leid verursachen. Das Leid in Syrien ist heute vergleichbar mit dem, was der Irak vor dem Irak-Krieg erlebt hat.

AARON MATÉ: Und jene Situation im Irak führte dazu, dass zwei UN-Koordinatoren, die die Folgen dieser Politik überblickten, zurückgetreten sind, weil sie die von den USA verfolgte Sanktionspolitik gegen den Irak als Völkermord bezeichneten. Doch heute bleibt diese Art Aufschrei über die US-Sanktionen gegen Syrien aus, die dazu dienen, wie James Jeffrey offen sagt, den Wiederaufbau zu verhindern. Können Sie uns die konkreten Auswirkungen auf den Versuch, Syrien wieder aufzubauen, schildern? Uns erreichen ja Berichte von langen Schlangen von Menschen, die für Brot und andere Grundnahrungsmittel anstehen, die keinen Treibstoff haben, von Ärzten, die medizinische Ersatzteile ins Land schmuggeln, um ihre Geräte weiterbetreiben zu können.

PETER FORD: Ja, das stimmt. Die Architekten der Sanktionen, die westlichen Regierungen, die sie verhängt haben, allen voran die USA und Großbritannien, behaupten ja, es gäbe Ausnahmen für Medizingüter. Doch das ist eine zynische Behauptung. Sie wissen nur allzu gut, dass die Sanktionen in der Praxis die Anbieter abschrecken. Man kann in dem Regelwerk zu den Sanktionen keine Passage finden, die den Handel mit humanitären Gütern verbietet. Trotzdem lassen die Banken tunlichst ihre Finger von jeglicher Dollar-Transaktion mit Syrien, weil die Sanktionen sich insbesondere auf das Bankengeschäft abschreckend auswirken. Und auch sehr viele Anbieter von medizinischem Gerät werden abgeschreckt. Das beklagen selbst einige Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die ja eigentlich die westlichen Regierungen unterstützen. Es ist ein Skandal. Und die Scheinheiligkeit der Behauptung, dass es Ausnahmen für medizinische Ausrüstung gäbe, ist einfach haarsträubend.

AARON MATÉ: Ich möchte Ihnen noch ein Zitat von James Jeffrey vorlesen. Als er sein Amt verließ, gab er in einem anderen Interview zu, dass er das Weiße Haus und die Öffentlichkeit hinsichtlich der US-Truppen in Syrien getäuscht hatte. Er sagte: „Wir haben immer Hütchenspiele gespielt, um vor unserer Führung zu verschleiern, wie viele Soldaten wir dort hatten.“

Was ist das Ziel der US-Truppen in Syrien derzeit? Trump hat sehr offen über den Diebstahl von Syriens Öl gesprochen. Was aber ist das geopolitische Ziel? Es geht ja nicht nur um das Öl selbst, sondern auch darum, was dieses Öl für Syrien bedeutet. Außerdem wird in dieser Region ein großer Teil des Weizens für Syrien angebaut, es geht also auch um die Ernährung, wenn ich das richtig verstehe.

PETER FORD: Das ist richtig. Die Truppen dort dienen vor allem als Stolperdraht, als Abschreckung. Sollten die syrischen Regierungstruppen vorrücken, würden sie über ein paar US-Soldaten stolpern und das würde eine massive Intervention der amerikanischen Luftstreikkräfte auslösen. Darauf zielt die Präsenz ab, und um so einen Stolperdraht zu bilden, brauchen sie nicht einmal eine große Anzahl von Soldaten.

Jedenfalls ist es interessant, dass die Architekten dieser Strategie im Staatsapparat der USA es nötig fanden, die Spitze der Exekutive, den Präsidenten, über die Truppenstärke im Ungewissen zu lassen. Trump scheint den Eindruck gewonnen zu haben, dass es sich um einige Hundert Soldaten handele, während es de facto wahrscheinlich eher zwischen zwei- und viertausend sind. Die Täuschung, die hier – auf jeder Ebene – stattfindet, ist für mich als ehemaliger Botschafter und Insider des britischen Systems einfach atemberaubend. Ich finde das absolut unfassbar.

Aber Jeffrey trifft mit seiner zynischen Bewertung ins Schwarze, dass nämlich die Präsenz dieser Truppen einen großen geopolitischen Vorteil für die USA darstellt. Sie behindert die Russen, die versuchen, die Verhältnisse in Syrien zu normalisieren. Wenn man also davon ausgeht, dass der Sinn dieses Krieges darin besteht, einen Sieg Russlands zu verhindern, dann geht diese Strategie ziemlich gut auf. Wenn man aber sagt, was die meisten politischen Entscheidungsträger behaupten würden, dass das Ziel darin besteht, den Konflikt zu beenden, dann erreicht die Strategie das Gegenteil.

Jeffrey sagte also im Grunde, dass die USA den Plan A hatte, so nannte er es, den Konflikt in die Länge zu ziehen und eine Lösung zu verhindern, die vielleicht nicht im Sinne der von den USA vorgezogenen Lösung ohne Assad wäre. Das ist Plan A. Er machte daraus keinen Hehl. Plan B bestand darin, eine Art Marionetten-Regime zu installieren; darüber, wer Assad dann eigentlich ersetzen sollte, hat er wenig gesagt. Kein Wunder, Plan B ist ja eine Luftnummer. Da gibt es keinen Mandela in Syrien, der auf seine Chance wartet. Da gibt es nur einen Haufen islamistischer Fanatiker, welche die Vereinigten Staaten angeblich bekämpfen. Das ist Plan B.

AARON MATÉ: Was meinen Sie war das Ziel des Stellvertreterkrieges? Sie waren ja zwischen 2003 und 2006 britischer Botschafter in Syrien. Damals war die Rede von einer Öffnung zwischen Assad und dem Westen. Dazu kam es nicht. Warum haben die USA und ihre Verbündeten so viel Geld und Energie in diesen Stellvertreterkrieg gesteckt? Die New York Times nennt es eines der kostspieligsten Programme von verdeckten Aktionen in der Geschichte der CIA. Laut Washington Post hatte die CIA für den Stellvertreterkrieg in Syrien ein Budget von fast einer Milliarde US-Dollar im Jahr. Welches Ziel hat man denn Ihrer Meinung nach verfolgt?

PETER FORD: Nun, ich sage Ihnen mal, was nicht das Ziel war. Der US-Politik geht es nicht darum, in Syrien eine demokratische Regierung zu installieren. Dafür gibt es nicht die geringste Chance, während die USA zugleich de facto islamistische Fanatiker und anderswo im Mittleren Osten Regime wie das Feudalregime von Saudi-Arabien unterstützen. Nein, es geht eben nicht um Demokratie. Es geht einerseits darum, Israel zu helfen, und andererseits, gegen Russland zu punkten. Darum dreht sich letzten Endes der ganze Krieg aus Sicht der USA.

Was Israel angeht, liegt die Motivation auf der Hand: Syrien beharrt störrisch darauf, dass die von Israel eroberten Golanhöhen zurückgegeben werden, und steht treu an der Seite der Palästinenser. Diese Sünden konnte man Syrien nie vergeben. Außerdem stehen sich Russland und Syrien seit 50 Jahren recht nahe. Ich bin mir aber sicher, hätte Syrien irgendwann einmal angeboten, die Seiten zu wechseln, würden die USA heute Assad unterstützen.

AARON MATÉ: Ich würde gerne erfahren, wie Sie über den Skandal der OPCW (Organisation für das Verbot Chemischer Waffen; Anmerkung der Übersetzerin) denken. Über die OPCW-Inspektoren, die im April 2018 den Chemiewaffenangriff in der Stadt Douma untersucht haben, habe ich ja ausführlich berichtet. Der Angriff war die Grundlage für die von den USA angeführten Luftangriffe auf Syrien im selben Monat. Die Beweise, die diese Inspektoren gesammelt hatten, wurden unterdrückt und sie selbst von ihrer Untersuchung abgezogen. Dabei waren die Vorwürfe wegen der Chemiewaffenangriffe in Syrien zentral für das Narrativ, mit dem man den Stellvertreterkrieg am Köcheln hält und jetzt die Sanktionen gegen Syrien rechtfertigt: Das Narrativ lautet ja, dass wir eben dieses Regime sanktionieren müssen, weil es Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk einsetzt. Wie sehen Sie denn die Kontroverse um Douma und die Unterdrückung der OPCW-Untersuchungsergebnisse und der eigenen Ermittler durch die OPCW?

PETER FORD: Ja, Chemiewaffen in Syrien spielen eine große Rolle, wie damals im Irak. Und die Welt leidet unter Gedächtnisverlust, was den Irak, die nicht existenten Massenvernichtungswaffen und das Dossier von Colin Powell angeht, das er vor den Vereinten Nationen präsentiert hat. Es hat was von „Und täglich grüßt das Murmeltier“, wenn man die Behauptung hört, Assad hätte Chemiewaffen eingesetzt.

Zunächst einmal ergäbe der Einsatz von Chemiewaffen für Assad keinen Sinn; das wäre nur ein Eigentor gewesen. Wäre ihm daran gelegen gewesen, eine massive Militärintervention des Westens herbeizuführen, dann hätte er es genau so anstellen müssen. Man müsste entweder unglaublich wirr im Kopf oder wahnhaft sein anzunehmen, dass Assad so dämlich gewesen sein könnte, genau das zu tun, was seine Vernichtung herbeiführt oder herbeiführen könnte, nämlich Chemiewaffen einzusetzen.

Es ist einfach nicht zu fassen, denn was wir hier gesehen haben, ist eine ausgefeilte Täuschung, davon bin ich ziemlich überzeugt. Eine Serie von Täuschungen. Es ist sehr vielsagend, dass keiner der Fälle, in denen angeblich Chemiewaffen eingesetzt wurden, von der UN oder anderen internationalen Untersuchungen unter die Lupe genommen wurden. Die einzige Ausnahme ist Douma. Und warum Douma? Weil das ein Stück Land ist, das die Regierungskräfte sofort nach dem angeblichen Vorfall wieder einnehmen konnten, so dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten die internationalen Ermittler nicht fernhalten konnten. Es hielt sie aber nicht davon ab, Syrien zu bombardieren; sie fingen damit an, ohne die Ankunft der internationalen Ermittler in dem Gebiet abzuwarten. Und seitdem erleben wir einen ausgeklügelten Versuch, die Sanktionen und die grausame Politik, die wir vorher besprochen haben, nachträglich zu rechtfertigen. Das ist letztendlich das Ziel der Chemiewaffen-Täuschungen: die Besatzung von Nordost-Syrien und den anhaltenden brutalen ökonomischen Druck zu rechtfertigen.

AARON MATÉ: Und wie interpretieren Sie die Tatsache, dass die Medien dem Thema relativ wenig Beachtung schenken? Wir haben auf The Grayzone viel darüber berichtet. Der verstorbene Robert Fisk hat darüber ein wenig für den Independent geschrieben; er war ja tatsächlich in Douma kurz nach dem angeblichen Angriff und hat Beweise dafür gefunden, dass die Szenen im Krankenhaus gestellt wurden. Danach wurden die Beweise dieser Inspektoren geleakt. Die Öffentlichkeit hat also erfahren, dass die Inspektoren, die in Douma waren, zu ganz anderen Schlüssen gelangt waren als denen, die veröffentlicht wurden. Man hat erfahren, dass man zentrale Beweise und Unterlagen zensiert und durch falsche, beweislose Schlussfolgerungen ersetzt hat, um der Öffentlichkeit weiszumachen, dass Syrien selbst hinter dem Chemikalien-Angriff stecke. Und trotzdem hat ein Großteil der Medien, vor allem im Westen, nur recht verhalten berichtet. Wie erklären Sie sich das?

PETER FORD: Nun, ich bin ja nicht nur ein ehemaliger britischer Diplomat, sondern auch ein früherer UN-Beamter. Ich habe acht Jahre lang für eine UN-Flüchtlingsorganisation im Mittleren Osten gearbeitet, und was hier passiert ist, wundert mich nicht im Geringsten. Denn ich habe selbst mitbekommen, wie der Westen, insbesondere die USA, in der UN-Maschinerie Druck ausüben. Man kann bei den Vereinten Nationen keine besonders steile Karriere hinlegen, wenn man sich die USA zum Feind macht, indem man ehrlich bleibt. Und deshalb ist eine Organisation wie die WHO für die USA und ihre Verbündeten, inklusive Großbritannien, immer äußerst leicht zu manipulieren. Sehr häufig bringen sie darin ihre eigenen Leute unter.

Aber gelegentlich schlüpft jemand durchs Netz, jemand, ein ehrlicher Mensch von gewisser Integrität, und das ist hier bei der OPCW passiert. Und diese Herren haben einen Bericht verfasst, in dem sie darlegten, dass sie Hinweise darauf gefunden haben, die eher auf eine Inszenierung des Vorfalls als auf einen echten Vorfall hindeuteten. Seitdem werden diese Ermittler verunglimpft, verurteilt, sabotiert. Und die Kampagne gegen die Wahrheit geht immer weiter.

AARON MATÉ: Apropos, neulich brachte die BBC eine Podcast-Serie mit dem Titel „Mayday“, in der Sie interviewt wurden. Die hat mich auch angewidert. Eine Folge war der Verunglimpfung dieser OPCW-Inspektoren gewidmet. Man hat versucht, die Behauptung zu stützen, dass in Douma tatsächlich ein Chemieangriff stattgefunden habe. Der Rest der Serie hatte sich der Imagepflege der Weißhelme und ihrem verstorbenen Gründer James Le Mesurier, einem britischen Ex-Militär, verschrieben.

Die Weißhelme spielten ja eine Rolle bei diesen Chemieangriffen. Sowohl im Falle von Douma als von Chan Schaichun im Jahr davor stammten Unterlagen und Beweise, die Eingang in die Abschlussberichte fanden, von den Weißhelmen. Und diese Abschlussberichte hatten zum Ziel, das Narrativ vom Chemieangriff zu stützen. Im Falle von Douma gibt es sogar Beweise dafür, dass die Weißhelme an der Inszenierung der Krankenhaus-Szene in Douma beteiligt waren, die so wirken sollte, als hätte ein Angriff stattgefunden. Es gibt sogar einen BBC-Producer namens Riam Dalati, der behauptet, Beweismaterial dafür gefunden zu haben, dass diese Szene eindeutig mithilfe der Weißhelme inszeniert wurde. Er hat das Material allerdings noch nicht veröffentlicht. Wie sehen Sie denn die Weißhelme, wer sind sie und welche Rolle spielen sie?

PETER FORD: Die Rolle der Weißhelme ist absolut entscheidend für das Bemühen des Westens, Syrien mittels dieses Vorwurfs des Chemiewaffeneinsatzes zu schwächen. Ich denke, dass die westlichen Regierungen nach dem Irak-Debakel erkannt haben, dass sie – sollten sie wieder einmal Behauptungen über Massenvernichtungswaffen, Chemiewaffen oder was auch immer aufstellen – schlagende Beweise vorzeigen müssten.

Und das ist die Aufgabe der Weißhelme. Sie haben die gefälschten Bilder von gefälschten Vorfällen erzeugt, die schlagende Beweise darstellen sollen. Und das ist absolut zentral für die Propaganda zur Rechtfertigung der Bombardierungen und des erbarmungslosen ökonomischen und militärischen Drucks auf Syrien. Ohne die sogenannten Zeugenaussagen, das Video, die inszenierten Videos, die Augenzeugenberichte, die die Weißhelme liefern, wäre die Story noch unglaubwürdiger, als sie eh schon ist. Aber für die US-Regierung und andere westliche Regierungen ist das nur ein kleiner Einsatz im Verhältnis zu dem, was auf dem Spiel steht. Sie unterstützen die Weißhelme mit rund 50 Millionen US-Dollar im Jahr. Das sind Peanuts im Vergleich zu den Vorteilen, die sie sich davon erhoffen, wenn sie Syrien in die Knie zwingen.

AARON MATÉ: Und die Weißhelme sind weltweit als Rettungstrupp bekannt. Man hat Dokumentarfilme über sie gedreht. Einer davon hat sogar einen Oscar gewonnen. Es gibt Aufnahmen von ihnen, wie sie Zivilisten aus Gebäuden retten, die von Syrien oder Russland bombardiert wurden. Seitdem genießen sie den Ruf, edle Retter zu sein. Berichte aus Syrien selbst und über den Tod des Weißhelm-Gründers James Le Mesurier zeigen eine eher düstere Seite: Auf Videoaufnahmen sieht man, wie sie Seite an Seite mit Dschihadisten arbeiten, auch bei Exekutionen in den Städten, welche die Dschihadisten kontrollierten. Le Mesurier war in Finanzbetrug verwickelt. Das hat er in einer Mail kurz vor seinem Tod eingeräumt. Außerdem ist umstritten, wie er überhaupt gestorben ist. Man geht von Selbstmord aus, es könnte aber auch sein, dass er einfach vom Dach oder Balkon seines Hauses gestürzt ist. Das ist unklar – was halten Sie von Le Mesurier, wer war er wirklich und was für eine Rolle haben die Weißhelme tatsächlich in Syrien gespielt?

PETER FORD: Er ist ein interessanter Typ. (…) aber ich glaube, all die ‘Whodunit’-Fragen, wer hat ihn geschubst oder wie ist Le Mesurier zu Tode gekommen, sind nur eine recht unterhaltsame Ablenkung von der eigentlichen Geschichte. Er brachte offenbar seine Führungsoffiziere in den britischen Geheimdiensten in Verlegenheit. Selbstmord ist kein guter Karriereweg. Und sich große Geldsummen zu erschleichen, war auch nicht gerade schlau. Deshalb haben wohl die Führungsoffiziere von James Le Mesurier die BBC-Serie in Auftrag gegeben. Sie mussten nicht nur die Weißhelme, sondern auch James Le Mesurier reinwaschen. (…) Ich finde es irgendwie ermutigend, dass die westlichen Regierungen sich so ins Zeug legen mit dem Propagandawerkzeug, dem staatlichen Rundfunk Großbritanniens, der BBC. Das ist recht schmeichelhaft, dass man unsere Bemühungen um Aufklärung für so schädlich für die Strategie hält, die Weißhelme aufzubauen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt dafür. Werden die Weißhelme diskreditiert, fällt die ganze Strategie in sich zusammen. Insofern ist es nur schmeichelhaft, wenn einen diese Leute angreifen.

AARON MATÉ: Jetzt, wo Donald Trump bald nicht mehr im Amt ist und Joe Biden bald Präsident wird – sehen Sie da eine Chance für einen Politikwandel in Syrien? Bidens Außenminister wird Tony Blinken, der eine stärkere Intervention in Syrien im Stellvertreterkrieg klar befürwortet. Wie schätzen Sie die US-Strategie unter Biden ein, denken Sie, dass es eine Abkehr von Trumps Strategie geben wird?

PETER FORD: Ich bin da alles andere als optimistisch. Ich denke, es wird eher schlimmer als besser werden. Wahrscheinlich erleben wir die Verlängerung des Status quo. Also eine Politik, wie sie der Sonderbeauftragte für Syrien Jeffrey beschreibt: der Versuch, den Konflikt zu verlängern, zu verhindern, dass Assad militärisch siegt, die Fortsetzung ökonomischer Kriegsführung, um zu versuchen, Assad damit in die Knie zu zwingen und ihn dazu zu bringen, einen Abschiedsbrief zu schreiben, also Wahlen im Sinne der USA zuzustimmen. Ich bin mir sicher, dass diese Politik weiter fortgesetzt wird.

Es könnte aber sein, dass die Politik noch abenteuerlicher und interventionistischer wird, da es ja einen Brückenkopf von ein paar Tausend Soldaten gibt, die schon einen Teil von Syrien besetzen. Ich habe große Sorge, dass Biden versucht sein könnte, die Zahl der Soldaten dort zu erhöhen, die syrischen Regierungstruppen militärisch unter Druck zu setzen, mehr Flugverbotszonen einzurichten. Schon jetzt besteht de facto eine Flugverbotszone über dem großen, von den US-Truppen und kurdischen Alliierten besetzten Territorium. Man könnte versuchen, Idlib zur Flugverbotszone zu machen, was schon eine Ironie der Geschichte wäre. Die US-Airforce als Flügel von al-Qaida. Solche Dinge haben wir im Laufe des Syrien-Konfliktes bereits erlebt. Ich bin also wirklich nicht optimistisch. Und ich fürchte, dass es noch schlimmer kommen könnte. Trump hat bei all seinen Unzulänglichkeiten doch mehr als einmal versucht, die US-Militärpräsenz in Syrien zu reduzieren und sogar zu beenden, wurde aber vom Staatsapparat daran gehindert. Keine rosigen Aussichten.

 

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