Der Posthumanismus ist ein Antihumanismus

Eine Kolumne von Giuseppe Gracia

Ohne Frage haben Technologie und wissenschaftliche Innovation das Leben von Millionen von Menschen verbessert. Mit dem wissenschaftlich-technischen Machtzuwachs über Natur und Zusammenleben wächst freilich auch die Gefahr, dass der Mensch nicht nur lebensdienliche Produkte herstellt, sondern dass er sich selber zunehmend als Produkt begreift und auf Funktionen reduziert.

 

Die Philosophie des Posthumanismus will traditionelle Konzeptionen des Menschseins überwinden, mit Implantaten, medizinischen Eingriffen, künstlicher Intelligenz, Kybernetik oder Nanotechnologie. Dazu sagt Yuval Noah Harari in seinem Buch Homo Deus (2017): «Nachdem wir die Menschheit über die animalische Ebene des Überlebenskampfs hinausgehoben haben, werden wir nun danach streben, Menschen in Götter zu verwandeln und aus dem Homo sapiens den Homo Deus zu machen.»

 

Aus biblischer Perspektive ist der Wunsch, sich vom Geschöpf in den Status des Schöpfers zu erheben, so alt wie die Menschheit. Neu ist der spektakuläre technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, der die Allmachtsphantasien à la Harari populär gemacht hat. Dabei lehrt uns die Vergangenheit, wie schnell Machbarkeitswahn und Fortschrittsglaube ins Totalitäre abgleiten können. In der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel war es die Aussicht auf einen Turm in den Himmel, gewissermaßen die Aussicht auf den Zugang zur Chefetage der Schöpfung, um an die Hebel der Macht zu kommen. Das hat die Architekten zum Totalitären verführt, so dass sie für den gewaltigen Bau Generationen von Menschen versklavt und getötet haben in Erwartung paradiesischer Zustände bei Vollendung des Projekts.

 

Gelänge es dem digitalisierten Westen von heute, sein kreatives Potential ohne Berührungsängste mit der jüdisch-christlichen Tradition zu verbinden, wäre es kein neuer Turmbau. Wenn Hightech und Bibel, Innovation und Tradition nicht als Gegensätze gelten, sondern als gegenseitig sich befruchtende und begrenzende Erfolgsfaktoren einer lebensdienlichen Kultur, dann könnte der Mensch nach den Sternen greifen und Großes vollbringen, ohne dem Größenwahn zu verfallen. Er würde im Bewusstsein leben, Mitarbeiter des Schöpfers, nicht der Schöpfer selbst zu sein. Verfällt die digitale Kultur jedoch einer reinen Verwertungs- und Optimierungspraxis, dürfte sie ihr menschliches Gesicht verlieren. Hin zu einer Welt aus dauerberieselten, dauerbeschäftigten Ameisen mit smarten Watches, Algorithmen und Social-Credit-Systemen.

 

Giuseppe Gracia (55) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neues Buch «Die Utopia Methode» (Fontis Verlag, 2022) beleuchtet die Gefahren utopischer Politik.

Redaktioneller Hinweis: Kolumnen geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und nicht notwendigerweise die von CSI.