1000 Peitschenhiebe für einen Blog

Weil er für mehr Rede- und Religionsfreiheit in einem der restriktivsten Staaten der Welt kämpfte, wurde der Blogger und Aktivist Raif Badawi zu einer langjährigen Haftstrafe und 1000 Peitschenhieben verurteilt. Wir fordern seine Freilassung.

Das grosse Freitagsgebet war gerade vorüber und der Platz vor der al-Jafali-Moschee in Jeddah war noch voller Menschen, als ein Bus vorfuhr und Sicherheitsleute einen schmächtigen jungen Mann herauszerrten. In Handschellen führten die Wächter ihn vor die Moschee, entblössten seinen Oberkörper und fesselten ihn an einen Pfosten. Vor den Augen der Menge, die den Vorgang mit Handys und Fotokameras dokumentierte, wurde der junge Mann ausgepeitscht. 15 Minuten und 50 Peitschenhiebe später verluden die Wächter den blutenden Mann wieder in den Bus und fuhren davon.

Was sich am 9. Januar 2015 in Jeddah abspielte, war nur der Auftakt. Raif Badawi heisst der junge Mann und er wurde zu insgesamt 1000 Peitschenhieben verurteilt. Jeden Freitag soll er 50 Hiebe erhalten. Zusätzlich wurde er zu einer hohen Geldstrafe von einer Million Rial (umgerechnet etwa 253’000 Franken), zu 10 Jahren Haft und einem anschliessenden 10-jährigen Reiseverbot verurteilt. Was hat Raif Badawi verbrochen, das eine derartig hohe Strafe verdient?

Unglauben verbreitet, Islam beleidigt

Raif wurde anders erzogen als viele seiner Landesgenossen. Er hatte nicht nur das Gespür für Ungerechtigkeit, sondern auch den Mut, Kritik zu äussern. Im Internet gründete er den Blog Freie Saudische Liberale, der Regimekritikern ein Forum für religiöse und politische Debatten bot. Dort kritisierte Badawi die religiöse Bevormundung durch den saudischen Staat. Auch einzelne Politiker und die saudische Religionspolizei nahm er in sarkastischen Beiträgen aufs Korn.

Das Internetforum blieb den Behörden nicht lange verborgen. Mit 24 Jahren wurde Badawi 2008 das erste Mal kurzzeitig verhaftet. Der Vorwurf lautete, dass er eine den Islam verhöhnende Webseite betreibe. Badawi verliess das Land und kehrte erst zurück, als die Anklage fallengelassen worden war.

Am 17. Juni 2012 aber wurde er erneut verhaftet und diesmal nicht wieder freigelassen. Man hatte verschiedene Anklagen gegen ihn gesammelt. Die schwersten waren: Verspottung islamischer Religionsführer im Internet und – besonders schwerwiegend – Apostasie, der Glaubensabfall vom Islam. Badawi hatte auf Facebook eine Seite für arabische Christen unterstützt und öffentlich Muslime, Juden und Christen als gleichwertig bezeichnet.

Das Verfahren zog sich über viele Monate hinweg. Ein Gericht reichte ihn an das nächste weiter. Das endgültige Urteil wurde am 7. Mai 2014 gesprochen. Der Apostasievorwurf wurde fallengelassen. Badawi hatte im Gerichtssaal ausgesagt, er sei Muslim, es solle aber jeder glauben dürfen, was er wolle. Verurteilt wurde er wegen Internetverbrechen, da er Unglauben verbreitet und den Islam beleidigt habe.

Keine einzige Kirche

Saudi-Arabien gehört zu den restriktivsten Regimes überhaupt. Vorherrschend ist der Wahhabismus, eine besonders konservative Interpretation des Islams. Als Verfassung gelten Koran und Sunna, die Überlieferung der Taten und Aussprüche des Propheten Mohammed. Die Gesetze basieren auf der Scharia, dem überlieferten islamischen Recht, und den Empfehlungen eines 20-köpfigen Rates von Religions- und Rechtsgelehrten, die den König beraten. Die Einhaltung der Gesetze wird von der Religionspolizei, der Mutawwa, sichergestellt. Diese Polizisten tragen keine Uniformen und sind nur dem König verantwortlich. Offiziell dürfen sie niemanden länger als 24 Stunden festhalten, keine Strafen aussprechen oder Verhöre durchführen. In Wirklichkeit belästigen sie Menschen, nehmen Verdächtige fest und lassen sie auspeitschen.

Offiziell sind alle 28 Millionen Einwohner Muslime, die meisten Sunniten. Es leben jedoch mindestens 10% schiitische Muslime im Land und mehrere Millionen Christen, die meisten von ihnen Gastarbeiter aus Südasien und Afrika. Sie werden vor Gericht, von den Behörden und von der Gesellschaft stark diskriminiert. Sie dürfen ihren Glauben nicht öffentlich ausleben, religiöse Versammlungen sind sogar in Privathäusern verboten, ebenso wie Evangelisation oder der Import von christlicher Literatur. Es gibt keine christlichen Hochzeiten oder Beerdigungen, keine christlichen Namen bei Neugeborenen, keine Bibeln, keine Kirchen. Wenn ein Gastarbeiter bei der öffentlichen Ausübung seiner Religion erwischt wird, drohen ihm Gefängnis und Deportation. Noch schlimmer trifft es Muslime, die zum Christentum konvertieren. Sie müssen ihren Glauben strikt geheimhalten, oft auch vor ihrer eigenen Familie, denn der Abfall vom Islam ist bei Todesstrafe verboten.

Freiheit für Raif Badawi

Raif Badawi setzte sich öffentlich für eine Öffnung der saudischen Gesellschaft für Andersgläubige ein. Dafür wurde er zu einer brutalen Prügelstrafe verurteilt. Nach der ersten Auspeitschung im Januar wurden die weiteren Auspeitschungen ausgesetzt, da es Badawi gesundheitlich schlecht geht. Seine Frau Ensaf Haidar, die 2013 mit ihren drei Kindern in Kanada politisches Asyl erhielt, kämpft von dort aus für das Leben und die Freiheit ihres Mannes. Nach internationalen Protesten wird sein Fall wohl demnächst neu aufgerollt.

 

 


 

Der neue König Salman bin Abdulaziz

Seit dem Tod von König Abdullah am 23. Januar 2015 ist sein Bruder Salman König von Saudi-Arabien. Salman war seit 2011 Verteidigungsminister und hatte zuvor 48 Jahre lang als Gouverneur der Provinz Riyad den Aufstieg des einsamen Wüstenortes zur modernen Millionenstadt möglich gemacht. König Salman ist selbst schon 79 Jahre alt und hat einen Schlaganfall überlebt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit setzte er ein klares aussenpolitisches Zeichen: Im März/April 2015 griff Saudi-Arabien die schiitischen Huthi-Rebellen im benachbarten Jemen mit Kampfjets an. Bei 2000 Angriffen wurden fast tausend Personen getötet und mehrere tausend verletzt.

 


Öl und Terror aus Saudi-Arabien

Durch die riesigen Ölvorkommen kam Saudi-Arabien zu grossem Reichtum und politischem Einfluss. Saudi-Arabien zählt zu den engsten Verbündeten der USA im Nahen Osten. Gleichzeitig ist das Königreich dafür berüchtigt, radikalen Islamismus und religiöse Gewalt im gesamten Nahen Osten und darüber hinaus zu finanzieren.