Kurz vor Beratungen des UNO-Sicherheitsrats zur bedrohlichen Lage der religiösen Minderheiten im Nahen Osten warnte der libanesische Ex-Präsident Amine Gemayel vor der „akuten Gefahr eines Genozids“: „Wenn die Entwicklung so weitergeht, müssen wir anfangen, das Undenkbare zu denken: das Verschwinden des Christentums“ aus dem Nahen Osten.
„Noch nie in meinem Leben befanden sich die Christen im Nahen Osten in einer solch grossen Gefahr“, warnte Amine Gemayel am 25. März 2015. In einem öffentlichen Vortrag am Boston College nannte der frühere Präsident des Libanon das Jahr 2014 „ein Jahr existenzieller Bedrohung“ für die Christen im Nahen Osten. Er machte eindringlich auf die „akute Gefahr eines Genozids“ aufmerksam angesichts der Gräueltaten, die Christen und andere Religionsminderheiten in der Region durch den Islamischen Staat und andere Extremisten erleiden. „Wenn die derzeitige Entwicklung so weitergeht“, so Gemayel, „müssen wir anfangen, das Undenkbare zu denken: das Aussterben des Christentums“ in der Region. Dies würde nicht nur viele Menschenleben fordern, sondern auch „die Region über Generationen destabilisieren“, sagte Gemayel.
Klägliches Versagen der USA
Die Krise werde durch den „unerklärlichen“ Mangel an Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft noch verstärkt, sagte Gemayel und hob hervor: „Die Vereinigten Staaten versagen kläglich mit ihren Reaktionen auf die Krise.“ Er kritisierte, Washington habe Luftangriffe nur für eigene Interessen, etwa zur Sicherung von Ölraffinerien, eingesetzt und nicht, um die religiöse Säuberung des Islamischen Staats gegen Christen und Jesiden zu stoppen. Während Gemayel einerseits anerkannte, dass die USA unaufhörlich mit Forderungen nach proaktiven Massnahmen belagert werde, wies er darauf hin, dass die USA nicht nur „die militärischen Mittel, um mehr zu tun“ habe, sondern dank „engen Beziehungen mit Regierungen in der Region“ auch politisch viele Möglichkeiten zum Handeln hätte.
UNO-Truppe aufstellen und sichere Schutzzonen einrichten
Gemayel ermutigte Washington namentlich, den Vorschlag des Vatikans zu unterstützen, eine UNO-Truppe mit muslimischer Beteiligung aufzustellen, um die religiöse Säuberung im Nahen Osten zu stoppen und international überwachte „sicheren Schutzzonen im Land“ einzurichten. Darüber hinaus appellierte er an die USA, den Libanon im Kampf gegen den Islamischen Staat und bei der Hilfe für syrische Flüchtlinge stärker zu unterstützen. Letzten Endes brauche es „einen arabischen Marshallplan“, um die arabischen Staaten wiederaufzubauen und in der arabischen Jugend demokratisches Denken zu fördern – eine Voraussetzung für die Errichtung demokratischer Systeme. Gemayel betonte auch die Notwendigkeit, dass muslimische Führer ihren Sympathiebekundungen für verfolgte Christen „einen umfangreichen Aktionsplan“ folgen liessen.
CSI-Vortragsreihe zu den religiösen Minderheiten im Nahen Osten
Das Referat von Ex-Präsident Amine Gemayel ist Teil der CSI-Diskussionsreihe zur „Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen und Mittleren Osten“ mit Veranstaltungen in Zürich, Genf, Bern, Oxford und Boston. Das Video seiner Rede ist zusammen mit den Videos aller bisherigen Vorträge online auf www.middle-east-minorities.com
Der Anlass in Boston wurde unterstützt von den folgenden Einrichtungen des Boston College: School of Theology and Ministry, Department of Slavic and Eastern Languages and Literatures, Department of Political Science, Boisi Center for Religion and American Public Life.
Am Freitag, dem 27. März, wird sich der UNO-Sicherheitsrat mit der von Ex-Präsident Gemayel geäusserten existenziellen Bedrohung religiöser Minderheiten im Nahen Osten befassen.