Weil sie nicht verheiratet werden wollte, rammte der Sklavenhalter ihr ein Messer in den Hals: Angeer Maror Kiir, die Sklavin, die ihre Angst überwand und floh. Eine Geschichte von Leid und Elend, aber auch von Mut, Hoffnung und Freiheit.
«Ich war noch sehr jung und kann mich nicht mehr an Details erinnern», sagt Angeer zögernd. Die junge Frau vom Volk der Dinka ist etwa 26 Jahre alt, doch in ihren Augen liegen Jahrzehnte voll Schmerz, Angst und Einsamkeit. Wir treffen Angeer an einem einsamen Ort in der Savanne unweit der Grenze zum Sudan – eine Grenze, die sie vor kurzem erst selber überschritten hat.
Ein «Abeed» ohne Rechte
«Ich wurde gemeinsam mit meinen Eltern entführt», erzählt Angeer weiter. Bald jedoch wurde sie von ihren Eltern getrennt und an einen anderen Sklavenhalter weiterverschenkt. Ihr neuer Besitzer hiess Mohamed. «Die Kinder von Mohamed behandelten mich schlecht und nannten mich oft ‹Hund›, ‹Esel› oder ‹Abeed›.» Abeed ist ein arabisches Schimpfwort für die afrikanischen Völker aus dem Südsudan und bedeutet «Sklave». Genau das war Angeer für ihre Peiniger: eine Sklavin. «Ich musste die Kühe hüten, schon als kleines Mädchen. Wenn eine Kuh sich verirrte, wurde ich geschlagen.» Angeer wurde gezwungen, zum Islam zu konvertieren, und wurde auf grausame Art beschnitten. Um auch noch das letzte bisschen ihrer Würde und Identität zu zerstören, wurde ihr der arabische Name Toma gegeben.
Eines Tages kam Mohamed und verkündete, er wolle Angeer einem seiner arabischen Bekannten zur Frau geben. Das wollte Angeer auf keinen Fall. «Ich weigerte mich», sagt sie, «darauf stiess er mir ein Messer in den Nacken.» Sie zupft den orangefarbenen Umhang von ihrer Schulter und dreht sich zur Seite. Eine schreckliche Narbe kommt zum Vorschein, wo das Messer in ihren Hals eindrang. Ein Wunder, dass sie überlebte. Die Wunde wurde offensichtlich nie richtig versorgt: Wie eine dicke Geschwulst zieht sich die Narbe über den Hals der jungen Frau. «Er wollte mich abschlachten», sagt sie.
Richtung Freiheit
Angeer beschloss, zu fliehen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und rannte in der Nacht davon – doch wohin? Wer würde ihr, der entlaufenen Sklavin, schon helfen?
«Im Dorf Jarabon sah mich ein Mann, ein Araber, und zeigte auf mich: ‹Du bist eine Dinka!›» Angeer bekam grosse Angst – alles war umsonst, man hatte sie erwischt. «Ich dachte: Nun bringt er mich zurück zu meinem Sklavenhalter.» Zu ihrer grossen Überraschung versicherte ihr der Fremde jedoch, dass er ihr helfen wolle, zurück in den Süden zu kommen. Gemeinsam mit anderen Dinka kletterte sie auf einen Lastwagen, der sie zu einem geheimen Treffpunkt brachte, wo noch mehr befreite und entlaufene Sklaven vom Volke der Dinka waren. Gemeinsam marschierten sie los – Richtung Freiheit.
Im Südsudan angekommen, wird jetzt nicht auf einmal alles leicht für Angeer. Sie kennt niemanden und es droht eine grosse Hungersnot. Doch sie ist zu Hause und frei. Wie jeder befreite Sklave bekam sie von einem CSI-Team eine Ziege, Saatgut und einen Sack mit praktischen Utensilien für den Neuanfang. Sie kann sich ein neues, selbstbestimmtes Leben aufbauen – in Freiheit.
Bis der letzte Sklave frei ist
Der Araber, der Angeer in den Süden brachte, ist einer unserer Sklavenrückführer. Die Sklavenrückführer haben dieses Jahr unter grosser Gefahr für ihr eigenes Leben bereits etwa 1000 versklavte Südsudanesen nach Hause gebracht. Seit beinahe 20 Jahren bringen wir verschleppte und versklavte Südsudanesen in ihre Heimat. Glücklicherweise gibt es seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2005 keine systematischen Sklavenjagden mehr, wie sie während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen dem Norden und dem Süden gang und gäbe waren. Doch obwohl der Krieg vorbei ist und der Südsudan ein unabhängiger Staat wurde, stecken immer noch viele Südsudanesen im Norden als Sklaven fest. Mit Ihrer Unterstützung werden wir auch sie nach Hause bringen – bis der letzte Sklave frei ist.
Autorin: Luise Fast