Ein Christ aus Aleppo erzählt aus seinem Alltag

Zwei Drittel aller Christen sind aus der Zwei-Millionen-Stadt Aleppo geflüchtet. Fadi, ein kirchlicher Mitarbeiter und CSI-Projektpartner, harrt aus und hilft seinen Mitchristen – in großer Unsicherheit, unter Lebensgefahr und vielen Entbehrungen.


Alle 48 Stunden eine Stunde Wasser. Alle 24 Stunden eine Stunde Strom. Das ist ein Teil von Fadis* Alltag in Aleppo – allerdings keineswegs der schlimmste Teil.

Aleppo war mit etwa zwei Millionen Einwohnern nach Damaskus die zweitgrösste Stadt in Syrien. Heute sind weite Teile von Aleppo zerstört. Die Stadt ist zweigeteilt: Ein Teil wird weiterhin von der Regierung kontrolliert, der andere Teil von den Rebellen. Fadi ist ein kirchlicher Mitarbeiter, dessen Hilfsprogramme von CSI unterstützt werden. Er wohnt im Teil, der von der Armee kontrolliert wird. «Am schlimmsten war es im Mai 2014», erinnert sich Fadi bei unserem Treffen. «Der Islamische Staat war nur 200 Meter von meiner Kirche entfernt.» Man rechnete jederzeit mit dem Einfall der Dschihadisten.

Mehrheit geflüchtet

Neben vielen muslimischen Flüchtlingen haben auch über zwei Drittel der Christen Aleppo verlassen. Dies ist umso tragischer, wenn man die Familiengeschichte dieser Christen betrachtet. Praktisch alle sind Nachkommen von Überlebenden des Genozids von 1915. Während damals Hunderttausende auf den Todesmärschen von der Türkei nach Syrien elend umkamen, liessen sich die Überlebenden in Aleppo und Umgebung nieder.

«Alle gut ausgebildeten Christen haben Aleppo verlassen», sagt Fadi. Geblieben sind mehrheitlich ältere Leute, häufig behindert. Drei Viertel der Christen, die zu seiner Kirche gehörten, haben Syrien verlassen. «Viele sind im Libanon, andere sind nach Schweden, Australien, Belgien, Deutschland oder in die USA ausgewandert.» In der Kirche gebe es zwar noch einzelne Familien mit Kindern. «Aber welche Zukunft haben sie?», fragt Fadi, ohne eine Antwort zu erwarten.

«Ich muss bleiben»

Fadi hat bisher – trotz Gefahr und zahlreichen Entbehrungen – in Aleppo ausgeharrt. Wegen Entführungsgefahr verlässt er das Haus jedoch nach 16 Uhr nicht mehr. Er lebt mit Drohungen. Weil sich diese auch gegen seinen ältesten Sohn richteten, lebt seine Familie seit einem Jahr in Beirut (Libanon). Fadi selber fühlt sich den Christen in seiner Kirche verpflichtet. «Ich muss bleiben.» Gegen Schluss unseres Treffens will er wissen: «Dem Westen ist es egal, ob die Christen im Nahen Osten in ihrer Heimat bleiben können, stimmts?»

Adrian Hartmann