Hoffnung 15 Jahre lang nicht aufgegeben

Arabische Milizen legten Warawar im Februar 1999 in Schutt und Asche. Viele Männer erschossen sie, Frauen und Kinder führten sie gefangen in den Norden. Unter den Versklavten war auch Abuks Schwester Angom. Nach 15 Jahren Trennung kam es jetzt zu einem bewegenden Wiedersehen.

Der 4.  Februar 1999 begann in der Marktstadt Warawar (Bezirk Aweil Ost) geschäftig wie immer. Arabische Händler hatten ihre Waren auf den Lehmgassen zwischen ihren Strohhütten aufgebaut: Kleider in allen Farben, bunte Plastiksandalen, Küchengeschirr, Ersatzteile für Fahrräder, Lebensmittel und Gewürze. Die Händler vertrieben sich die Zeit mit Brettspielen, Nähmaschinen verwandelten lange Stoffbahnen in Kleider und die Lastkamele schmatzten in der Mittagshitze, während sie sich an Wasser und Salzbrocken labten. Hoch über der Stadt kreisten Hunderte von Geiern auf der Suche nach Schlachtabfällen. Auch die junge Mutter Angom Yom Mawien war von ihrem Dorf nach Warawar gegangen, um Einkäufe zu erledigen.

In Warawar ging die Welt unter 

Es war zwei Uhr nachmittags, als die Welt in Warawar plötzlich unterging. Erst Pferdegetrappel, dann Reiter mit Säbeln und Gewehren, Schüsse, Schreie von Menschen in Todesangst. Hunderte arabischer Angreifer hatten den Ort umstellt, töteten kaltblütig alle Männer im wehrfähigen Alter und trieben Frauen und Kinder zusammen. An langen Seilen gefesselt und mit Peitschenhieben traktiert mussten sie wenig später in Richtung Norden abmarschieren – unter ihnen war auch Angom. Bei Sonnenuntergang war die Sklavenkarawane bereits einige Kilometer vorangekommen. Am Horizont standen dunkle Rauchsäulen – die Räuber hatten die ausgeplünderte Ortschaft vor ihrem Rückzug in Brand gesteckt.

In den Tagen darauf irrten Überlebende durch eine Stadt, die in Schutt und Asche lag. Auf der Suche nach Angehörigen drehten sie die Leichen um, die neben den Lehmringen der niedergebrannten Hütten lagen und schauten den Toten ins Gesicht.

Wenige Tage nach dem Überfall, am 13.  Februar 1999, dokumentierten CSI-Projektleiter John Eibner und Gunnar Wiebalck die Schrecken vor Ort. Noch immer lag Brandgeruch in der Luft. Eine alte Frau, Achaie Deng Kuol, beklagte den Verlust ihres Sohnes Deng und seiner Frau Adiang. Ihre fünf Enkelkinder im Alter zwischen 10 und 18 Jahren waren ebenfalls verschwunden. Die Sklavenräuber hatten Hunderte von Menschen wie Vieh zusammengetrieben und verschleppt, zusammen mit reicher Beute an Kühen, Ziegen, Getreide und Marktwaren.

«Wenn Gott will, wird sie zurückkommen»

15 lange Jahre wartete Abuk auf ein Lebenszeichen ihrer vermissten Schwester Angom. Sie gab die Hoffnung nicht auf, sie eines Tages wiederzusehen: «Wenn Angom noch am Leben ist und wenn Gott es will, dann wird sie zurückkommen.»

Ihre Hoffnung blieb auch deshalb am Leben, weil der Strom der Rückkehrer dank der CSI-Befreiungsaktionen nicht mehr abriss. Heute begegnet man im Bundesstaat Nördlicher Bahr el-Ghazal immer wieder ehemaligen Sklaven. Über 100  000 hat CSI schon befreit. Vor sechs Jahren kam Yom Malit zurück, der heute als Laienprediger eine 700-köpfige Kirchgemeinde leitet. Ihr gehören 57 ehemalige, von CSI befreite Sklaven an. Obwohl Yom seine Frau und seine sechs Kinder verlor, blickt er ohne Verbitterung zurück. «Nach meiner Rettung durch ein CSI-Team vor sechs Jahren fand ich den Weg zu meinem Erlöser. Ich wurde auf den Namen Michael getauft und begann, eine Gemeinde um mich zu versammeln. Mein Glaube hat mein Herz von Hass befreit und Rachegefühle wegen der schlimmen Erinnerungen an meine Sklavenzeit ausgelöscht.»

Hoffnung belohnt

Immer wieder machte sich Abuk auf den weiten Weg zu den abgelegenen Treffpunkten, wenn sie von bevorstehenden CSI-Sklavenbefreiungsaktionen erfuhr. Jahrelang ging das so und jedes Mal wurde sie enttäuscht. Auch am 28.  Februar 2014 war Abuk wieder da und musterte die Gesichter der am Boden kauernden Sklavinnen. Plötzlich traute sie ihren Augen kaum: In der Menge saß mit einer blauen Strickmütze ihre Schwester Angom!

Es war bewegend zu sehen, wie sich die beiden Schwestern in die Arme fielen. Glücklich strahlten sie uns an, als sie uns ihre Geschichte erzählten. Abuk hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, ihre Schwester zu finden, und nach 15 Jahren wurde dieser Traum wahr.

«Ich preise Gott, dass der Sklavenrückführer meine Schwester zurückgebracht hat!», sagt sie überwältigt. Angom war verheiratet und hatte drei Kinder, als sie versklavt wurde. «Ich hoffe, dass ich auch sie wiedersehen kann.» Hand in Hand zogen die beiden Schwestern los Richtung Heimat.

Autoren: Gunnar Wiebalck | Joel Veldkamp