Achan Deng Kuel (ca. 25) war bei ihrer Entführung Mitte der 90er Jahre zu klein, um sich daran erinnern zu können. Als Sklavin im Norden des Sudan wurde sie zwangsverheiratet. Achan ist dankbar, dass sie mit einem ihrer drei Kinder befreit werden konnte.
«Ich habe vergessen, wer meine Eltern sind. Auch erinnere ich mich nicht mehr daran, was genau bei der Entführung durch die sudanesischen Reitermilizen passierte. Ich weiss nur noch, dass mich ein Mann namens Isaadich in den Norden des Landes brachte.
Er nannte sie «Tochter»
Kaum waren wir im Norden angelangt, liess mich mein Sklavenhalter beschneiden. Es war sehr schmerzhaft und ich leide noch heute darunter. Auch musste ich zu Beginn im Haus meines Sklavenhalters Zwangsarbeit verrichten. Doch nachdem er mich besser kennengelernt hatte, akzeptierte er mich als Teil seiner Familie. Isaadich adoptierte mich als sein Kind und nannte mich fortan ‹Tochter›. Ich wusste aber, dass ich nicht seine wirkliche Tochter war.
Mir gegenüber wurde Isaadich eigentlich nicht ausfällig und beschimpfte mich auch nicht mit abschätzigen Begriffen. So war für mich das Leben im Nordsudan ganz in Ordnung.
Ein «Ja» mit fatalen Folgen
Dies änderte sich schlagartig, als eines Tages ein Mann namens Ismail zu uns kam und mich aufforderte, seine Frau zu werden. Als ich mich weigerte, schrie er mich an und attackierte mich in seiner rasenden Wut mit dem Messer. Dabei erlitt ich eine Schnittwunde am Bein. Als Isaadich nachfragte, was geschehen sei, versuchte er mich zu überreden, Ismail zu heiraten.
Schliesslich gab ich nach, was ich zutiefst bereue. Ich war die einzige Dinka in Ismails Haus. Dies bekam ich täglich zu spüren. Ismail behandelte mich wie eine Sklavin, schlug und vergewaltigte mich regelmässig. Zudem musste ich Zwangsarbeit verrichten.
Wieder mit der Tochter vereint
Von Ismail habe ich drei Kinder: Alima, die Älteste, Hassan, der nun siebenjährig ist, und Ali (5). Eines Nachts riss mein Mann alle drei Kinder aus dem Schlaf, setzte sie auf ein Kamel und brachte sie irgendwo hin. Als ich ihn voller Sorgen nach dem Grund fragte, erzählte er höhnisch, dass Leute Dinkas aus der Gegend einsammeln würden, um sie zurück in den Süden des Landes zu bringen. ‹Ich will aber unter keinen Umständen, dass meine Kinder in den Süden gebracht werden›, schnauzte er mich an. Ich weiss bis heute nicht, wo Hassan und Ali sind. Immerhin erfuhr ich, dass meine Tochter Alima bei meinem ehemaligen Sklavenhalter Isaadich wohnt.
Als ein Sklavenbefreier zu uns kam, besprach er etwas mit Ismail, was ich nicht verstand. Schliesslich kam Ismail auf mich zu und meinte: ‹Dieser Mann wird dich mitnehmen.› Ich ging davon aus, dass es sich um einen weiteren Sklaventreiber handeln würde. Doch als ich in seinem Lager ankam und dort viele andere Dinkas sah, realisierte ich, dass er mich in den Südsudan zurückbringen würde.
Bevor wir aufbrachen, erklärte ich ihm ganz aufgeregt, dass mir meine drei Kinder weggenommen wurden und ich den Aufenthaltsort eines dieser drei Kinder kannte. Er nahm mein Anliegen ernst und brachte Alima zu mir. Ich war überglücklich und erleichtert, als ich Alima in meine Arme schliessen konnte. Ich gab ihr den Dinka-Namen Alor.
Hier wird sie bleiben
Trotz der Schwierigkeiten im Südsudan bin ich froh, wieder in meiner Heimat zu sein. Manchmal haben wir nichts zu essen. Ausserdem muss ich mich mit diesem neuen Land erst einmal vertraut machen. Immerhin beherrsche ich neben dem Arabischen auch die Sprache der Dinkas aus meiner Kindheit. Das ist eine grosse Hilfe.»
Reto Baliarda