Sechsjähriger nach Bombe verstummt

Adam spricht nicht mehr, seit er bei einem Luftangriff verletzt wurde. Er ist eines der Flüchtlingskinder, um die sich Schwester Sara unermüdlich kümmert. Sie und ihr Team kämpfen gegen die harte Realität des Kriegs an und versuchen, den Kindern so etwas wie Normalität zu vermitteln.

Mehr als vier Jahre dauert der Krieg nun schon an. «Wir haben den Eindruck, dass sich die psychische Verfassung der Menschen verschlechtert», erfahren wir aus Syrien. «Gerade bei den Kindern stellen wir verstärkt Trauma-Symptome fest. Sie sind das Resultat des ununterbrochenen Kriegs.»

Unsere Projektpartnerin Schwester Sara (Name geändert) widmet ihr Leben ganz den Flüchtlingsfamilien, hilft mit Lebensmitteln, Kleidern, Medikamenten und psychologischer Betreuung. Schwester Sara, ihre Mitschwestern und Freiwillige erteilen den Kindern Sprachunterricht und bieten Computerkurse an. Sie organisieren Freizeitprogramme mit Spielen, Tanz und Theater, wo die Kinder den Krieg etwas vergessen können.

Zur Revolution gezwungen

Eines der Kinder ist der heute neunjährige Adam. Er spielt mit den andern Kindern und geniesst die Freizeitaktivitäten – aber er spricht nicht. Seine Mutter erzählt seine Geschichte: «Wir lebten in einer kleinen Stadt südlich von Aleppo. Wenn wir auch nicht reich waren, so hatten wir doch ein gutes Leben. Mein Mann arbeitete als Autoreifen-Reparateur und Musiker. Adam und seine Schwestern gingen gerne zur Schule und gehörten zu den Besten.»

Im April 2011 zogen plötzlich viele Dorfbewohner in die Stadt und bedrohten die Bewohner, sich der Revolution anzuschliessen. Sie kamen jeden Freitag und waren bewaffnet. «Sie begannen, unseren Kindern den Schulbesuch zu verbieten und zwangen die Ladenbesitzer, ihre Geschäfte zu schliessen.» Sie verbreiteten Videos, in denen sie behaupteten, die Bevölkerung habe sich der Revolution angeschlossen. «Nach einigen Monaten kam unsere Stadt unter Beschuss, Leute starben. Meine Kinder hatten täglich Panikattacken. Uns gingen Geld und Lebensmittel aus. Im Juni 2012 stellten die Revolutionäre allen Stadtbewohnern ein Ultimatum, entweder bei der Revolution mitzumachen oder zu verschwinden.»

Seit drei Jahren stumm

Zusammen mit ihren Verwandten verliess die Familie ihre Heimatstadt und kam bei Freunden in einem nahegelegenen Dorf unter: 35 Personen teilten sich zwei Räume. Sie waren vollständig von ihren Freunden abhängig. Doch auch dieses Dorf wurde zum Kriegsschauplatz. Bei einem Bombenangriff der syrischen Luftwaffe kamen 24 Personen ums Leben. «Adam wurde am Kopf verletzt», erinnert sich die Mutter. «Seither spricht er nicht mehr.» 

Noch an zwei weiteren Orten suchte die Familie Zuflucht – erfolglos. Schliesslich blieb nur noch die Flucht an die weit entfernte Küste, die von den Kämpfen bisher verschont blieb. «Hier fühlen sich die Kinder sicherer, aber sie haben immer noch Alpträume und grosse Angst.» 

Adams Mutter träumt weiterhin davon, eines Tages in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Sie wird jedoch bis heute von islamistischen Rebellen beherrscht. 

Adrian Hartmann