Zurück bleiben Geisterstädte

Projektleiter Dr. John Eibner reiste kürzlich nach Syrien. Er besuchte neben Gebieten, die immer unter der Kontrolle der syrischen Regierung standen, auch Homs und Maalula, die – zumindest in Teilen – von den Dschihadisten eingenommen worden waren. Noch immer herrscht totale Zerstörung.

CSI: Du warst auf deiner letzten Reise zum ersten Mal seit Ausbruch des Kriegs auch in Damaskus. Wie ist die Situation dort?

John Eibner: Ich hörte immer wieder Mörserfeuer und sah Flugzeuge, die Stellungen der Rebellen angriffen – ganz in der Nähe von Damaskus. Doch die Leute auf den Strassen reagieren praktisch nicht darauf. Im Gegenteil, sie sagen, es sei in letzter Zeit viel ruhiger und sicherer geworden. Die Diskrepanz zwischen der offensichtlichen Realität des Krieges und der scheinbaren Normalität des Lebens an manchen Orten ist erstaunlich.

Damaskus ist unter der Kontrolle der Regierung. Wir haben Hilfsgüter an Flüchtlinge verteilt, die aus von den Rebellen besetzten Gebieten geflohen sind. Die Menschen sind ausserordentlich dankbar, aber auch sehr ängstlich. Sie wollten nicht fotografiert werden und sich nur unter Zusicherung der Anonymität äussern. Es zeigt sich hier, dass die Lage in den Regierungsgebieten zwar sicher und die Infrastruktur intakt ist, die Menschen aber doch grosse Angst haben.

 

Wie sah es dieses Mal in Homs aus?

Die UNO hat bereits im Mai 2014 den Abzug der Rebellen organisiert, als diese von Regierungstruppen eingekreist waren. In einigen Gebieten am Stadtrand gibt es noch Kämpfe, doch der grösste Teil von Homs ist unter Kontrolle der Regierungstruppen und die Versorgungsrouten in die Stadt scheinen sicher zu sein.

Wir besuchten das Grab des Jesuiten-Paters Frans van der Lugt aus den Niederlanden, der während der Besetzung durch die Rebellen bei der Zivilbevölkerung ausgeharrt hatte. Einen Monat vor ihrem Abzug brachten die Islamisten ihn um. Die zurückgekehrten Mönche haben uns auch sein Zimmer gezeigt.

Die Altstadt von Homs war einst ein lebhafter Stadtteil mit über 150’000 Einwohnern, darunter etwa 30’000 Christen. Heute liegt eine unheimliche Stille über den leeren, teils zerbombten Strassenzeilen. Ein geradezu surreales Bild bot ein Mann, der auf den leeren Strassen mit seinem kleinen Wagen Erdnüsse zum Verkauf anbot.

Die Menschen kehren nur langsam zurück. Im September 2014 wurde eine Schule wieder in Betrieb genommen. Damals waren es 40 Schüler, nun sind es 150. An die 1000 Personen haben sich in den letzten sechs Monaten zurückgewagt. Sie haben damit begonnen, da und dort ein wenig Ordnung zu machen, die Strassen von Trümmern freizuräumen und ähnliches. Doch ich konnte nirgendwo Anzeichen von Wiederaufbauarbeit sehen. Die Jesuiten haben mit alten Brunnen ein einfaches Wasserverteilsystem aufgebaut. Elektrizität gibt es dagegen weiterhin nicht.

 

Die Einnahme des christlichen Maalula durch die Dschihadisten hat im September 2013 Schlagzeilen gemacht. Wie steht es heute um diese Stadt und ihre Bewohner?

Unsere Projektpartnerin, Schwes­ter Sara (Name geändert), ist in Maalua aufgewachsen. Ich konnte mit ihr in das christliche Städtchen fahren. Viele Einwohner flohen, als die islamistischen Kämpfer Maalula einnahmen. Im April 2014 eroberten Regierungstruppen das Städtchen zurück. Die Zerstörungen durch die Kämpfe sind allgegenwärtig. Auffällig waren die vielen von den Rebellen gezielt zerstörten Kreuze. Auch Kirchen wurden gezielt entweiht. Inzwischen kehren die Menschen nach Maalula zurück, viele allerdings zunächst nur, um nach dem Rechten zu sehen und aufzuräumen. Es gibt Bemühungen, Maalula wieder zu besiedeln, doch es ist nicht einfach.

 

Was sagen Christen in Syrien über ihre Situation?

Viele sagen, dass sich die Situation verbessert habe. Es ist jedoch immer noch sehr gefährlich. Nur wenige Wochen zuvor riss ein Attentäter bei einem Anschlag auf eine Schule 80 Personen mit sich in den Tod. Und während meines Aufenthalts wurde der Bruder eines lokalen Jugendleiters in Homs entführt, um ein Lösegeld zu erpressen. Der Alltag der Menschen bleibt also höchst bedrohlich.

 

Wie geht es mit der CSI-Hilfe in Syrien weiter?

Dass wir diese Menschen besuchen, selbst wenn wir ihnen nicht viel bringen können, bedeutet ihnen sehr viel. In Syrien sind die Menschen sehr isoliert, sei es räumlich, sei es bezüglich Informationen aus der Aussenwelt. Darum bleibt die CSI-Arbeit vor Ort wichtig und wir werden den intern Vertriebenen weiterhin helfen und den Menschen zur Seite stehen, so gut wir können. 

Benjamin Doberstein


CSI-Hilfe in Syrien

In Syrien sind inzwischen sieben Millionen Menschen auf der Flucht, etwa drei Millionen sind in die Nachbarländer geflüchtet. CSI hilft syrischen Flüchtlingen im Irak, in der Türkei und in Syrien selber. In Syrien unterstützen wir vierhundert Flüchtlingsfamilien mit Lebensmitteln und Medikamenten. Projektpartnerin ist Schwester Sara (Name geändert), die sich zusammen mit ihren Ordensschwestern und vielen Freiwilligen um die Flüchtlinge kümmert. Zusätzlich unterstützen wir kirchliche Hilfsprogramme in Homs, Aleppo und Damaskus.


Schwester Sara über die Stimmung an Weihnachten 2014

«Ich bemerke zum ersten Mal seit Kriegsausbruch, wie die Leute sich nicht mehr von der Furcht beherrschen lassen, sondern weiterleben wollen – ungeachtet der Zerstörung und des harten Lebens. Trotz grosser Gefahr entschieden sich die Christen, Weihnachten wieder stärker in der Öffentlichkeit zu feiern als in den letzten Jahren. In Damaskus haben sie in ihren Vierteln zum Beispiel sogar die Strassen weihnächtlich geschmückt. Eine meiner Mitschwestern in Homs übte mit den Kindern zum ersten Mal seit Kriegsausbruch ein Weihnachtskonzert ein.

Die allgemeine Situation ist immer noch sehr schwierig und viele christliche Familien leben nach wie vor in grosser Bedürftigkeit. Aber fast jeder hat sich entschieden, die Furcht hinter sich zu lassen und weiterzuleben in der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.»