Trotz Problemen und Drohungen entschied sich Khaleel Shaaya immer wieder, im Irak zu bleiben. Selbst als der Islamische Staat 2014 sein Dorf Telskuf überfiel, resignierte er nicht. Nach dem erneuten IS-Angriff auf sein Dorf im Mai 2016 hält ihn jedoch kaum mehr etwas vom Auswandern ab.
Mit Leid wurde der heute 53-jährige Khaleel Oraha Dawood Shaaya schon als Kind konfrontiert. Er war gerade mal sechs Jahre jung, als sein Vater 1969 durch mehrere Schüsse schwer verletzt wurde. Er war in eine Schiesserei von verfeindeten Gruppen geraten. Wegen der Arbeitsstelle des Vaters zog die Familie 1974 von Telskuf nach Basra. Im Sommer 1981 kehrte sie nach Telskuf, das an der Grenze zum kurdischen Gebiet liegt, zurück. Dies wegen des damaligen Kriegs zwischen Irak und Iran.
Trotz seiner schwierigen Jugend hat sich Khaleel Shaaya stets für ein rechtschaffenes Leben eingesetzt, sich um eine gute Ausbildung seiner drei Kinder bemüht und vor allem hart gearbeitet. So konnte er schliesslich für seine christliche Familie ein Haus in Telskuf bauen.
Gerade noch rechtzeitig geflohen
Und was ist heute übrig geblieben? «Seit ich elf bin, habe ich geschuftet. Alles, was ich erarbeitet habe, habe ich in einer Nacht verloren», seufzt er sichtlich resigniert.
Khaleel spricht die Nacht vom 3. auf den 4. August 2014 an. In jener Nacht griff der IS u.a. die jesidische Stadt Sindschar und das christliche Dorf Telskuf an. Er konnte seine Familie gerade noch in Sicherheit bringen. Zu neunt flohen sie mit dem Auto in die kurdische Stadt Dohuk, wo sie zusammen mit 100 anderen Familien im Kulturzentrum der Chaldäischen Kirche Unterschlupf fanden.»
Zwar gelang es den kurdischen Peschmerga-Kämpfern, den IS nach zwei Wochen wieder aus Telskuf zu vertreiben. Doch Khaleel und die anderen Bewohner des Dorfes durften nicht nach Telskuf zurückziehen: «Viele unserer Häuser wurden für militärische Zwecke verwendet. Wir erhielten lediglich die Erlaubnis, uns in unserem Haus kurz umzuschauen.» Sein Haus sei in dieser Zeit regelrecht ausgeplündert worden, obwohl es unter dem Schutz der Peschmerga stand: «Jedes Mal, wenn ich mein Haus betrat, fehlten zusätzliche Sachen.» Weil er und weitere Bewohner aus Telskuf wegen der Plünderungen öffentlich die Peschmerga beschuldigten, hätten sie Telskuf schliesslich überhaupt nicht mehr betreten dürfen.
Hoffnung auf Rückkehr verloren
Trotz allem gab seine Familie lange Zeit die Hoffnung nicht auf, eines Tages wieder nach Telskuf zurückkehren zu können.
Seit dem 3. Mai 2016 scheint aber auch dieser letzte Funke Hoffnung erloschen zu sein. An diesem Tag griff der IS erneut Telskuf an. Diesmal gelang es den Peschmerga, den IS nach einigen Stunden zu verjagen.
Doch der Schaden war angerichtet. Durch die Gefechte wurden Dutzende Häuser zerstört. «Möglicherweise hat es auch mein Haus getroffen. Eine Rückkehr nach Telskuf kann ich nun wohl ganz ausschliessen», so der dreifache Familienvater, der hinter den IS-Angriff ein grosses Fragezeichen setzt: «Augenzeugen sahen amerikanische Flugzeuge über dem heranrückenden IS-Konvoi. Warum haben diese den Angriff nicht verhindert?»
Die gegenwärtigen Lebensumstände in Dohuk sind für Khaleels Familie äusserst schwierig. Mit zwei weiteren Familien teilt sie sich ein kleines Haus mit einer Küche und einem Badezimmer. Trotzdem kann Khaleel den Mietanteil kaum bezahlen. «Wir sind abhängig vom Einkommen meiner Frau. Sie arbeitet als Buchhalterin. Doch seit Dezember 2015 hat sie keinen Lohn mehr erhalten», beschreibt er die verzweifelte Lage. «Kommt dazu, dass meine drei Kinder keine wirklichen Aussichten haben, ihre in Mossul begonnene Ausbildung fortzusetzen.» Khaleel und seine Familie fühlen sich fremd im eigenen Land.
Emigration den Kindern zuliebe?
Auswandern hätte Khaleel wohl schon früher können und auch gute Gründe dafür gehabt. In Mossul, nur gut 30 Kilometer von Telskuf entfernt, war er von Unbekannten mehrfach bedroht worden. Einmal entkam er mit seiner Frau nur knapp. «2007 wurden mir 50’000 Dollar für mein Land angeboten, auf dem ich später mein Haus baute. Damit hätte ich auswandern können. Ich verzichtete jedoch aufs Geschäft, was ich heute bereue», beschreibt er seine Gefühlslage. Noch letzten Oktober hätte er nach Frankreich auswandern können. Er schlug die Möglichkeit aus, weil er damals immer noch an eine Rückkehr nach Telskuf glaubte.
Der finanzielle Engpass, die fehlenden schulischen Perspektiven für seine Kinder, das verlorene Vertrauen in die irakische und kurdische Regierung, wie auch in die internationale Gemeinschaft, scheinen Khaleel zum Umdenken zu bewegen: «Wir haben Verwandte im Ausland. Sie haben für uns Anträge für eine Aufnahme in Deutschland, Amerika oder auch Australien gestellt. Ich habe dafür alle nötigen Unterlagen geschickt. Bisher hatte ich sie diesbezüglich aber nicht zu schnellem Handeln gedrängt.»
Doch mit der wachsenden Not zieht Khaleel die Auswanderung, gegen die er sich so lange gewehrt hatte, immer mehr in Betracht. Und dies betrifft nicht nur ihn: «Wenn nicht bald die internationale Gemeinschaft einen ernsthaften Willen für den Verbleib der Christen im Irak an den Tag legt, unser Land befreit und uns bei der Rückkehr Schutz gewährt, so werden alle Christen aus dem Irak verschwinden.»
Reto Baliarda
Helfer bei CSI-Partner
Auch in seiner prekären Situation ist Khaleel Oraha Dawood Shaaya bestrebt, das Beste zu machen und sich auch für andere Menschen einzusetzen. Seit einigen Jahren arbeitet er freiwillig für Hammurabi, die CSI-Partner im Irak. Er hat auch schon mehrmals bei CSI-Hilfsgüterverteilungen in Kurdistan mitgeholfen.
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