Die 14-jährige Rula musste mitansehen, wie ihr Vater von Rebellen erschossen wurde. Dieses traumatische Erlebnis führte bei Rula zu einer Sprachblockade. Im Kinderzentrum von Schwester Marie-Rose heilten die seelischen Wunden und Rula begann wieder zu sprechen.
Im Hof des ehemaligen Jesuitenklosters in Tartus an Syriens Mittelmeerküste herrscht eine ausgelassene Stimmung. Ein Dutzend Kinder übt den „Dabke-Tanz“. Ein kleiner Junge trommelt auf einem umgestülpten Plastikeimer begeistert den Takt dazu. Eine andere Gruppe sitzt dicht gedrängt an Tischen und malt mit Wasserfarben, während Kinder in den angrenzenden Räumen Arabisch, Englisch und Mathematik lernen.
Hinter den fröhlichen Gesichtern verbergen sich aber doch Schmerz und Trauer. „Die Kinder sind mit ihren Familien aus Kriegsgebieten ins relativ sichere Tartus geflohen. Viele leiden unter den traumatischen Erlebnissen des Krieges“ erzählt Schwester Marie-Rose, „sie haben Albträume und nässen ins Bett. Andere sind aggressiv oder hyperaktiv und haben Lernschwierigkeiten.“
Unbeschwerte Kindheit in Rakka
Besonders schwer leidet Rula, ein 14-jähriges Mädchen aus Al Tabka, rund 45 Kilometer von der ehemaligen IS-Hochburg Rakka entfernt. Im Krieg hatte sie eine Kommunikationsstörung entwickelt und ganz aufgehört zu sprechen. Von Rulas Mutter hat Schwester Marie-Rose die entsetzliche Geschichte der Familie erfahren.
Rula hatte in Al Tabka eine unbeschwerte Kindheit. Sie besuchte die Grundschule, spielte mit ihrem älteren Bruder und machte Sport. Die Familie lebte in relativ guten Verhältnissen. Rulas Vater Abu Ahmed arbeitete als Techniker am staatlichen Euphrat-Staudamm. Rulas Onkel gehörte der Geschäftsleitung des Staudamm-Unternehmens an. Fachkräfte aus ganz Syrien waren mit ihren Familien nach Al Tabka gezogen, um für das Staudamm-Unternehmen zu arbeiten. Als typische Syrer lebten diese Menschen verschiedener Religionen und Ethnien friedlich zusammen.
Das Ende der Kindheit
2013 wurden die Städte Rakka und Al Tabka zur Zielscheibe islamistischer Terroristen, die den Staudamm unter ihre Kontrolle bringen wollten. Dabei nahmen die Islamisten gezielt Staatsangestellte ins Visier, unter ihnen Rulas Vater und Onkel.
Am 5. September 2013 erhielt Rulas Vater einen Anruf der Terroristen, die Informationen über den Aufenthaltsort seines Bruders verlangten. Falls er nicht kooperiere, würden sie ihn und seine Familie umbringen.
Vier Tage später sah Abu Ahmed sie kommen: bewaffnete, vermummte Männer auf Jeeps. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich seine Frau und sein Sohn bei Nachbarn auf, während Rula kurz vorher von der Schule nach Hause gekommen war.
Abu Ahmed rief seinen Bruder und seine Freunde um Hilfe, doch die Terroristen hatten sein Haus bereits umstellt. In seiner Verzweiflung versteckte er Rula unter einem Bett und ergriff sein Gewehr. Doch Abu Ahmed hatte gegen die Islamisten keine Chance: Eine Kugel traf ihn mitten ins Herz.
Rula war 9 Jahre alt, als sie ihren Vater so sterben sah. An diesem Tag hörte sie auf zu sprechen.
Eine Woche nach diesem Vorfall gelang es der Mutter und ihren Kindern, mit Hilfe von Freunden aus Al Tabka zu fliehen. Zwölf Kilometer zogen sie zu Fuß durch die Wüste, bis sie die Autobahn nach Aleppo erreichten. Von dort aus fuhren sie in die sichere Stadt Tartus.
Geborgenheit bei Schwester Marie-Rose
Schwester Marie-Rose lernte Rula und ihre Familie bei einem ihrer Hausbesuche in den ärmlichen Flüchtlingsunterkünften von Tartus kennen. „Die Familie war in einem desolaten Zustand“ erinnert sie sich. „Sie lebte in einem winzigen Raum ohne Tageslicht, mit verschimmelten Wänden. Rula saß apathisch auf einer Matratze und reagierte nicht auf mich“. Schwester Marie-Rose versorgte die Familie mit Lebensmitteln und Möbeln und entschied sich, Rula besonders viel Aufmerksamkeit und Pflege zukommen zu lassen.
So begann Rula das Kinderzentrum der CSI-Projektpartnerin zu besuchen. „Anfänglich sprach sie kein Wort und versteckte sich bei jedem lauten Geräusch“, erzählt Schwester Marie-Rose. „Einmal brachte sie mir eine Gewehrpatrone, die sie auf der Straße gefunden hatte, als Geschenk mit. Das war ihre Art, mir ihr Leiden mitzuteilen.“
Es dauerte mehr als ein Jahr, bis Rula Vertrauen zur Schwester, dem Betreuungsteam und den anderen Kindern gefunden hatte. Inzwischen hat sie Lesen und Schreiben gelernt und spricht auch wieder. Rula ist Schwester Marie-Rose ans Herz gewachsen. „Statt Patronen schenkt sie mir heute Blumen.“
Rula ist eines von über 300 Kindern, die am Schul- und Freizeitprogrammen für Flüchtlingskinder im syrischen Tartus teilnehmen. CSI-Partnerin Schwester Marie-Rose organisiert die Aktivitäten zusammen mit ihrem großen Team. CSI beteiligt sich seit Jahren an den Kosten für Löhne, Mahlzeiten, Schulmaterial, Verpflegung, Wohnungsmieten und Transport. CSI-Partnerin Schwester Marie-Rose und ihr Team bieten den Kriegskindern eine Oase der Liebe und des Friedens mitten im Schrecken des Krieges.
Kriegskinder in Syrien brauchen unsere Hilfe!
Bitte unterstützen Sie die Arbeit von CSI-Partnerin Schwester Marie-Rose in Tartus!