Mehr als ein Drittel ihres Lebens verbrachte die 55-jährige Alieny Dut Uguom als gedemütigte Sklavin. Noch schlimmer als vom Sklavenhalter wurde sie von dessen Kindern misshandelt. Diese verletzten sie mit einer Schusswaffe schwer. Seit 27. Januar 2016 lebt Alieny in Freiheit. Sie erzählt:
«Bis 1994 lebte ich glücklich mit meiner Familie im Süden Sudans. Ich erinnere mich noch, wie ich an einem ganz gewöhnlichen Tag mit meinen Eltern zuhause war und den Tag genoss. Plötzlich tauchten arabische Reiter auf und umzingelten unser Dorf. Ich hatte panische Angst und schaffte es, mit unseren Ziegen in den Wald zu flüchten. Doch die arabischen Kämpfer hatten auch diesen nach kürzester Zeit umstellt. Sie ergriffen mich mit den Ziegen, schubsten und zwangen mich, mit ihnen mitzugehen.
Brutale Tötung eines Erschöpften
Ich wurde zusammen mit vielen anderen Dinkas aus dem Dorf gekidnappt. Wir mussten marschieren, während die arabischen Entführer auf den Pferden ritten. Diese waren äusserst brutal und kannten kein Erbarmen. Einer der verschleppten Männer war sehr müde und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er wurde vor unseren Augen auf bestialische Weise umgebracht. Dabei drohten die Araber uns, dass es uns ebenso ergehen würde, wenn wir uns so verhalten würden. Sie hatten auch viele Bauernhöfe geplündert und die Ziegen und Kühe mitgenommen.
Zehn Tage waren wir zu Fuss unterwegs, bis wir den Norden Sudans erreichten. Es waren zehn anstrengende Tage, an denen ich es mir nicht leisten konnte, irgendein Zeichen der Erschöpfung zu zeigen, und wir uns von den Essensresten der Araber ernähren mussten.
Als wir ankamen, wurde ich versklavt und an Hessian Ali verkauft. Er hatte vier Frauen und viele Kinder.
Leiden unter familiärer Gewalt
Mir wurden 22 Jahre genommen, in denen ich als Sklavin lebte: Täglich musste ich das Haus putzen, Wasser aus dem Teich anschleppen und mich um die Ziegen kümmern. Jedes Mal, wenn ich um eine kurze Verschnaufpause bat, verdrosch mich mein Sklavenhalter mit einem Stock und schrie mich an: ‹Du Negerin, Sklavin, du musst für uns arbeiten!› Ausserdem zwang er mich, wie eine Muslimin zu leben und auch am Ramadan zu fasten.
Eines Tages wurde ich mit Hessians jugendlichen Kindern alleine gelassen. Zwei ältere Knaben kamen mit furchterregendem Blick auf mich zu und meinten: ‹Du alte Sklavin. Wir möchten mit dir Sex haben!› Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ich eine alte Frau sei wie ihre Mutter, und dass sie deshalb keinen Geschlechtsverkehr mit mir haben könnten. Da wurden sie sehr zornig und fesselten mich. Sie holten ein Gewehr hervor, mit dem sie auf mein Bein und meine Hände feuerten. Ich erlitt schwere Schussverletzungen, mein linker Daumen wurde zerfetzt.
Trotz der schlimmen Verletzungen gewährte mir Hessian kaum Zeit, mich zu erholen. Auch mit dem abgetrennten Daumen musste ich weiterhin hart schuften.
Ein arabischer Retter
Nach über zwei qualvollen Jahrzehnten hätte ich es nicht zu träumen gewagt, dass mein Leben noch eine Wende zum Guten nehmen würde. Ende Januar 2016 erfuhr ich, dass sich ein Sklavenbefreier namens Oman in unserer Gegend aufhalten würde. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit floh ich zu ihm und bat ihn, mich in den Südsudan mitzunehmen. Oman willigte sofort ein und brachte mich mit anderen befreiten Sklaven in unser Herkunftsgebiet zurück.
Ich bin so dankbar, dass ich als freier Mensch wieder in meiner Heimat leben kann. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es im Sudan noch viele Dinka-Sklaven aus dem Südsudan gibt. Ich hoffe und bete, dass sie alle befreit werden.»
Reto Baliarda