Aserbaidschan zerstört christliche Kulturgüter in Bergkarabach

Beobachter warnten schon länger davor, dass Aserbaidschan christliche Kulturgüter auf im eroberten Bergkarabach zerstören würde. Nun dokumentieren Satelitenbilder die Zerstörung einer historischen Kirche und eines Friedhofs in der Stadt Schuschi. Damit verstößt Aserbaidschan klar gegen eine Anordnung des Internationalen Gerichtshofs.

Bereits 2020 eroberte Aserbaidschan etwa 70 Prozent Bergkarabachs. Im September letzten Jahres folgte nach einer mehrmonatigen Berlagerung ein erneuter Angriffskrieg. Aserbaidschan eroberte damit den restlichen Teil Bergkarabachs und vertrieb im Anschluss die angestammte Bevölkerung, eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt, nahezu vollständig. Gegenüber der internationalen Gemeinschaft versicherte Aserbaidschan, zumindest das religiöse Erbe der Region zu schützen und zu erhalten – und bricht nun das Wort, indem es bedeutende Stätten zerstört.

Satellitenbilder vom 4. April 2024 zeigen, dass der Ghazanchetsots-Friedhof in Schuschi nicht mehr existiert. Das berichtete Caucasus Heritage Watch (CHW) in einem „Zerstörungsalarm“, der am 19. April auf X veröffentlicht wurde.  Dies ist der dritte Friedhof, der seit dem Waffenstillstand von 2020 zerstört wurde, so das Überwachungs- und Forschungsprogramm. Es fügte hinzu, dass vier weitere Friedhöfe beschädigt worden seien.

Die Schändung des Friedhofs von Ghazanchetsots, der aus dem 18. Jahrhundert stammt, habe im Oktober begonnen, so CHW. „Zu diesem Zeitpunkt war es noch nicht zu spät, die Zerstörung zu stoppen. Aber im Dezember 2023 war er [der Friedhof] fast verschwunden.“

CHW kommentierte, die Zerstörung armenischer Grabstätten sei „ein neues Merkmal der Nachkriegsentwicklung in Aserbaidschan-Karabach, das die Vorfahren stört und unbequeme Zeugnisse von Zugehörigkeit und Koexistenz auslöscht.“

Historische Kirche dem Erdboden gleichgemacht

In einer früheren Meldung vom 18. April gab CHW bekannt, dass Baku ein 177 Jahre altes Wahrzeichen von Schuschi – die historische Kirche St. Johannes des Täufers – dem Erdboden gleichgemacht hat. 

Die 1847 von den Armeniern erbaute Kirche wurde im Krieg von 2020 beschädigt. Nachdem Schuschi im Krieg an Aserbaidschan gefallen war, erhob die russisch-orthodoxe Kirche Anspruch auf das Gebäude und hatte Berichten zufolge mit dessen Restaurierung begonnen.

Satellitenbilder, die CHW online veröffentlichte, zeigten, dass das Gebäude am 28. Dezember noch stand. Am 4. April war es jedoch vollständig verschwunden.

Dorf abgerissen

Die am 4. April veröffentlichten Satellitenbilder zeigen auch die vollständige Zerstörung des Dorfes Karin Tak in Bergkarabach. In dem jahrhundertealten Dorf, das sich ebenfalls in der Nähe von Schuschi befand, lebten 160 armenische Familien, die alle während des aserbaidschanischen Angriffs auf Bergkarabach im Jahr 2020 fliehen mussten.

Gerichtsbeschluss missachtet

Die Denkmalschutzbehörde bezeichnete die Zerstörung der Kirche St. Johannes des Täufes als „Aserbaidschans bisher schwersten Verstoß“ gegen eine Anordnung des Internationalen Gerichtshofs (IGH).  Am 7. Dezember 2021 entschied der IGH über die Verpflichtungen Aserbaidschans aus dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. In Punkt 1 (c) des Beschlusses heißt es, dass Baku „alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um Vandalismus und Schändungen zu verhindern und zu bestrafen, die das armenische Kulturerbe betreffen, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Kirchen und andere Kultstätten, Denkmäler, Wahrzeichen, Friedhöfe und Artefakte.“

Versprechen zum Schutz von Kulturstätten

Die Menschenrechtslage in Aserbaidschan wurde auf der 55. Tagung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, die vom 26. Februar bis zum 5. April in Genf stattfand, einer allgemeinen regelmäßigen Überprüfung (Universal Periodic Review – UPR) unterzogen. Die UPR-Arbeitsgruppe gab 319 Empfehlungen ab, von denen Baku 185 akzeptierte und 134 „zur Kenntnis nahm“ oder nicht unterstützte.

„Die mutwilligen Zerstörungen zeigen, dass Aserbaidschan nicht die Absicht hat, seine hochtrabenden Versprechen bezüglich der Bewahrung des kulturellen Erbes von Bergkarabach einzuhalten“, kommentierte Dr. Joel Veldkamp von Christian Solidarity International. „Sie zeigen auch, dass Aserbaidschan sich nicht im Geringsten darum sorgt, wie seine Freunde im Westen auf die Auslöschung der christlichen Geschichte im Stil des IS reagieren.“

„Bergkarabach beherbergt einige der ältesten und historisch bedeutendsten christlichen Kirchen, Klöster und Denkmäler der Welt“, so Veldkamp weiter. „Wir könnten eine Kampagne der fast vollständigen Zerstörung armenischer Denkmäler erleben, wie wir sie in Nachitschewan erlebt haben, wo Aserbaidschan zwischen 1997 und 2005 jede einzelne Kirche, jedes Kloster und jeden Kreuzstein abgerissen hat. Wenn westliche Staaten dies verhindern wollen“, so Veldkamp, „sollten sie Druck auf Aserbaidschan ausüben, damit es mit der UNESCO und der Armenischen Apostolischen Kirche zusammenarbeitet, um den Erhalt der religiösen Stätten in Bergkarabach und den Zugang zu ihnen zu gewährleisten, damit die armenischen Christen ihr Recht auf Religionsfreiheit ausüben können.“