Bergkarabachs Gesundheitsminister warnt: „Bald werden Menschen sterben!“

120.000 armenische Christen in Bergkarabach sitzen wegen der Blockade durch Aserbaidschan in ihrer Heimat fest. Nun hat sich die Lage nochmals dramatisch verschlechtert. „Bald werden Menschen sterben!“ befürchtet Karabachs Gesundheitsminister und CSI-Partner Vardan Tadevosyan.

Die humanitäre Lage der 120.000 Christen in Bergkarabach verschärft sich zusehends. Grund dafür ist die Belagerung durch Aserbaidschan, das die einzige Verbindungsstraße zwischen der armenischen Enklave und der Republik Armenien, den sogenannten Latschin-Korridor, blockiert.

CSI-Projektpartner Vardan Tadevosyan ist mit dem Leid seiner Mitbürger nur allzu gut vertraut. Zum einen ist er Gesundheitsminister von Bergkarabach. Zum anderen leitet er ein Rehabilitationszentrum in der Hauptstadt Stepanakert, das von CSI unterstützt wird.

Unbezahlbare Lebensmittel

Im Gespräch mit CSI schildert Tadevosyan die wirtschaftliche Lage vor Ort, die wegen der fehlenden Versorgung durch die Außenwelt katastrophal ist: „Der Preis für Eier hat sich seit der Belagerung verdreifacht. Tomaten sind zehnmal so teuer und für Äpfel bezahlen wir 30mal so viel wie vor dem 12. Dezember.“

Die Straßen in der Hauptstadt seien inzwischen fast menschenleer, da es kein Benzin für Autos gibt. Nur Notfahrzeuge wie Krankenwagen und wenige Busse fahren noch. „Wegen des fehlenden Benzins können die Bauern ihre Lebensmittel nicht nach Stepanakert bringen“, so der CSI-Partner weiter.

Humanitäre Katastrophe

Aserbaidschan greift armenische Kirchen in Bergkarabach an.

Der extreme Treibstoffmangel hat auch Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Das Gesundheitsministerium von Bergkarabach muss mit 30 Prozent des normalerweise beanspruchten Kraftstoffs auskommen. Der größte Teil wird für Generatoren in den Krankenhäusern verwendet, beispielsweise für MRT-Geräte. Trotz dieser Maßnahmen können Hunderte Menschen derzeit nicht operiert werden, betont Tadevosyan: „Es fehlen die dafür notwendigen Medikamente.“

In Bergkarabach mangelt es an allem, und es wird immer schlimmer: Noch bis vor kurzem konnten die Armenier von Bergkarabach wenigstens auf kleine Lieferungen von Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten durch das Rote Kreuz und russische Friedenstruppen hoffen. Doch seit dem 15. Juni 2023 hindert Aserbaidschan die Russen daran, den Latschin-Korridor zu benutzen.

Doch damit nicht genug: Anfang Juli schränkte Aserbaidschan auch den Zugang und die Lieferungen des Roten Kreuzes drastisch ein.

Medizinische Notfälle werden schikaniert

Patienten, die in Bergkarabach medizinisch nicht ausreichend behandelt werden können, dürfen zwar theoretisch in Transportern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in die armenische Hauptstadt Eriwan gebracht werden. Doch die Kapazität in diesen Fahrzeugen ist begrenzt, bemerkt Tadevosyan, der als Gesundheitsminister dafür zuständig ist, zu entscheiden, wer auf die IKRK-Transportliste gesetzt wird.

Letztendlich entscheidet aber Aserbaidschan, wer Bergkarabach verlassen darf. Und die Belagerer schränken die Möglichkeit zur Ausreise immer mehr ein. Bis vor kurzem konnten Patienten den Ehepartner oder Kinder unter fünf Jahren nach Eriwan mitnehmen.

Doch seit dem 14. Juli 2023 dürfen die Kinder der Patienten nicht mehr mit, egal wie alt sie sind. Dazu Tadevosyan: „Ich fragte den Leiter der Rotkreuz-Delegation: ‚Was ist mit Müttern, die ihre Babys noch stillen? Können sie ihre Babys mitnehmen?‘ Er sagte nein und erklärte einfach: ‚Glauben Sie mir, ich bin nicht der Entscheidungsträger.’“

Wer zur Behandlung ausreisen darf, wird schikaniert. Kürzlich habe Aserbaidschan sein eigenes Ärzteteam an den Checkpoint geschickt. Dieses untersucht die Patienten, um sicherzustellen, dass sie „wirklich krank“ sind. Manchmal machen die Aserbaidschaner Videos der Patienten am Checkpoint und stellen sie in die sozialen Medien.

Irgendwann verlangten sie die vollständige Krankengeschichte aller Patienten, die ausreisen wollen, erklärt Tadevosyan. „Ich habe mich geweigert, diese herauszugeben. Am Ende haben sie die Forderung fallengelassen.“

Fehlgeburten verdreifacht

Die Blockade und wiederkehrende Schikanen seitens der Aserbaidschaner zerrt an der Gesundheit der armenischen Christen in Bergkarabach. Letzte Woche gaben die einheimischen Behörden bekannt, dass sich die Rate von Fehlgeburten während der Blockade verdreifacht habe.

Beharrlichkeit und Angst

Selbst unter diesen extremen Umständen setzt Tadevosyan seine Arbeit in dem von CSI geförderten Rehazentrum in Stepanakert fort. Tagsüber arbeitet er als Gesundheitsminister, abends im Rehazentrum. Es ist den Mitarbeitern gelungen, die Hydrotherapiesitzungen für ihre Patienten aufrechtzuerhalten, indem sie ihr Heizsystem auf Diesel umgestellt haben. Zudem wurden einige Badezimmer renoviert, um sie für Rollstuhlfahrer zugänglich zu machen.

Dennoch sind die humanitären Aussichten düster, so Tadevosyan: „Die Menschen werden bald sterben!“ Dazu kommt, dass die 120.000 Bewohner von Bergkarabach ständig mit der Angst leben müssen, dass ein aserbaidschanischer Angriff jederzeit erfolgen kann.

CSI hat eine Völkermordwarnung für armenische Christen in der Region herausgegeben. Zudem forderte CSI die USA, Großbritannien und die EU auf, Druck auf ihren Verbündeten Aserbaidschan auszuüben, um die Blockade zu beenden, humanitäre Hilfe für Bergkarabach zu leisten und das Selbstbestimmungsrecht der Karabach-Armenier anzuerkennen.