Die Hoffnung in Aleppo am Leben erhalten

Dr. Nabil Antaki, CSI-Partner und Arzt aus Aleppo nimmt den Westen wegen der verhängten Sanktionen in die Verantwortung: „Die Sanktionen sind für die Syrer tödlich.“ Ein Interview.

 

CSI: Lieber Dr. Antaki, wie ist die Lage in Aleppo heute?

Dr. Nabil Antaki

Dr. Antaki: Militärisch gesehen ist es ruhig. Die Regierung hat schon 2016 die Kontrolle über ganz Aleppo zurückerlangt. Wirtschaftlich gesehen ist die Lage jedoch katastrophal. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut. Arbeitslosigkeit und Inflation sind in die Höhe geschnellt. Und diejenigen, die Arbeit haben, verdienen im Schnitt gerade mal umgerechnet € 30.- im Monat.

Es mangelt an lebenswichtigen Gütern wie Treibstoff. Seit Beginn des Krieges ist es in unseren Häusern jeden Winter kalt; ich habe mir schon mehrmals Erfrierungen zugezogen. Strom gibt es nur für drei Stunden pro Tag. Die Menschen müssen stundenlang Schlange stehen, um Brotrationen zu bekommen – alle zwei Tage 250 Gramm pro Person. Bis vor kurzem mussten die Menschen 48 Stunden lang Schlange stehen, um die ihnen zugeteilten 20 Liter Treibstoff alle zwei Wochen zu bekommen. Heute teilt die Regierung per SMS mit, wann wir unsere Treibstoffration kaufen müssen. Doch 20 Liter alle 14 Tage reichen nicht aus.

Syrien war einst die Kornkammer des Nahen Ostens. Heute sind viele Frauen in Aleppo derart unterernährt, dass sie Säuglinge nicht stillen können. Wir von den «Blauen Maristen» haben deshalb ein spezielles Programm ins Leben gerufen, um Babynahrung an arme Familien zu verteilen.

 

Spielen die Sanktionen bei dieser Krise eine Rolle?

Dr. Antaki: Die ungerechten Sanktionen, die uns von den USA und der EU auferlegt wurden, sind für die Syrer tödlich. Man versucht uns weiszumachen, dass sie nur den inneren Kreis der syrischen Regierung treffen. Aber sie treffen alle. Die Sanktionen erschweren die Einfuhr von lebenswichtigen Gütern erheblich. In Aleppo beispielsweise gibt es heute so wenige Dialysegeräte, dass die Patienten oft nur zwei Stunden pro Tag behandelt werden können, statt der vier Stunden, die sie bräuchten.

Drei meiner Freunde starben an COVID-19, weil es keine Beatmungsgeräte für sie gab. Das Schlimmste aber ist, dass die Sanktionen jede Art von Investition oder Wirtschaftswachstum im Land verhindern.

 

Woher rührt Ihr humanitäres Engagement?

Syrien ohne Christen ist nicht denkbar

Dr. Antaki: Schon 1986 haben meine Frau und ich zusammen mit unseren Freunden vom Orden der Maristen eine Organisation mit dem Namen «Das Ohr Gottes» gegründet. Wir wollten die Christen mit unserer Hilfe ermutigen, in Syrien zu bleiben. Zudem erinnerten wir sie daran, dass Syrien – eine der Geburtsstätten des Christentums – ihre Heimat ist.

Am 23. Juli 2012 übernahmen die Rebellen die Kontrolle über Ost-Aleppo. 500.000 Menschen flohen von dort in den westlichen Teil der Stadt. In dem Viertel, in dem wir arbeiteten, brachen Flüchtlinge die Türen einiger Schulen auf, um darin Schutz zu suchen. Draußen herrschten Temperaturen von vierzig Grad und die Menschen hatten weder Essen, Kleidung noch Wasser. Wir besuchten diese Schulen, um Hilfsgüter zu verteilen und Programme für Kinder durchzuführen. Unsere Freiwilligen trugen blaue T-Shirts, um sich auszuweisen. Als die Kinder uns kommen sahen, riefen sie: „Die Blauen! Die Blauen!“ So beschlossen wir, uns in «Die Blauen Maristen» umzubenennen.

 

Wie helfen «Die Blauen Maristen» den Menschen in Aleppo?

CSI finanziert: Junge Unternehmensgründer

Dr. Antaki: Wir haben 14 Projekte in Aleppo. CSI-Spender unterstützen unser Mikrokreditprogramm, mit dem wir bisher 188 kleine Unternehmen finanziert haben. CSI unterstützt auch unser «Heartmade»-Programm, in dem Frauen aus alten Stoffen neue Kleidung herstellen. Darüber hinaus helfen wir u.a. den Menschen, ihre Miete und Arztrechnungen zu bezahlen. Wir verteilen auch Lebensmittel und kümmern uns um alte Menschen und kleine Kinder.

Ein Vertriebenenlager in der Nähe von Aleppo versorgen wir mit Kleidung, Lebensmitteln und medizinischer Hilfe. In diesem Lager leben Menschen, die durch die türkische Invasion in Afrin im Jahr 2018 aus ihren Häusern vertrieben wurden.

 

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Dr. Antaki: Ich arbeite sieben Tage die Woche, von 8 Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Von 8 Uhr bis 14 Uhr betreue ich Patienten in meiner Arztpraxis. Von 15 bis 23 Uhr bin ich als Leiter der Blauen Maristen aktiv.

 

Erzählen Sie uns mehr über Ihre Freiwilligen.

Dr. Antaki: Unsere ersten jungen Freiwilligen kamen nach Beginn der Schlacht um Aleppo im Juli 2012. Sie hörten von unserer Arbeit mit den Vertriebenen und wollten sich engagieren. Heute arbeiten 155 zumeist christliche Freiwillige mit uns zusammen. Es gibt aber auch einige Muslime. Religion spielt dabei keine Rolle, solange die Freiwilligen unsere Werte teilen – den Menschen mit Liebe und Respekt zu helfen.

 

Waren Sie schon einmal in Versuchung, Syrien zu verlassen?

Dr. Antaki: Auf jeden Fall. Meine Frau und ich haben in Syrien keine Familie mehr. Mein Bruder wurde von Terroristen des IS getötet. Der Rest unserer Familie sowie die meisten unserer Freunde haben das Land verlassen. Es wäre sehr einfach für uns, ihnen zu folgen.

Aber wir erachten es als unsere Aufgabe, in Syrien zu bleiben. Wenn die Menschen sehen, dass wir nicht wegziehen, gibt ihnen das Hoffnung.

Vielen Dank für das Gespräch und die gute Zusammenarbeit!

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