Kaka’i: Zuversicht nach der Befreiung vom IS

Neben Christen und Jesiden wurden im Nordirak auch andere religiöse Minderheiten von der Terrormiliz Islamischer Staat attackiert. Eine davon sind die Kaka’i, die einen mystischen Islam pflegen und den Kurden nahestehen.

Auf ihrer letzten Reise in den Nordirak besuchten Dr. John Eibner, Adrian Hartmann und Hélène Rey die weniger bekannte Religionsgemeinschaft der Kaka’i: «Beladen mit 420 Hygienekörben fuhren wir mit zwei Lastwagen zu den abgelegenen Dörfern Al-Majidya und Kazikan. Beide Dörfer liegen in einer prachtvollen Gegend am Ufer des Oberen Zab, einem Nebenfluss des Tigris», berichtet CSI-Nahost-Projektleiter John Eibner.

«Sind wir die nächsten?»

In Kazikan wird das CSI-Team von der dankbaren Dorfbevölkerung und dem Mukhtar (Dorfvorsteher) herzlich begrüßt. Kazikan präsentiert sich nicht als ein zerstörtes Dorf. Vielmehr ist es eine im Bau befindliche Siedlung, nur ohne Baukräne.

Doch die Erinnerung an den islamistischen Terror und das Elend, das der IS angerichtet hat, sind noch allgegenwärtig. Der Mukhtar erzählt: «Als der Islamische Staat im August 2014 Sindschar und seine jesidische Bevölkerung attackierte, gab es für uns Kaka’i nur noch zwei brennende Fragen: «Sind wir die nächsten? Wieviel Zeit bleibt uns noch, uns zu verteidigen und zu fliehen?»

Sie waren sich durchaus bewusst, dass der IS sie ebenso wie die Jesiden als «kuffar» (Ungläubige) betrachtete, obwohl die Kaka’i sich als Muslime verstehen.

Da die Kaka’i nicht zu den «Völkern des Buches» gehören, konnten sie mit keinerlei Schutz rechnen, so wie er möglicherweise Christen und Juden gegen Zahlung einer hohen Steuer und Unterwerfung unter die islamistischen Machthaber gewährt worden wäre. Vielmehr mussten sie damit rechnen, dass der IS sie reihenweise töten würde, wie die Jesiden.

Kein einziges Haus blieb stehen

Die Kaka’i stellten unverzüglich Milizen auf, die später in die kurdischen Peschmerga integriert wurden. Diese Vorsorge rettete jedoch nur zwei der sieben Kaka’i-Dörfer nahe des Oberen Zab. Die übrigen, darunter auch Al-Majidya und Kazikan, fielen unter die Kontrolle des IS. «Die IS-Kämpfer haben alles zerstört. Kein einziges Haus blieb stehen,» berichtete der Mukhtar weiter. «Einige Dorfbewohner, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, werden immer noch vermisst.» Immerhin konnten die meisten im richtigen Moment die Flucht ergreifen, sodass ein Genozid wie bei den Jesiden verhindert werden konnte.

Auch das Haus des jungen Saadi Mahdi wurde vom IS dem Erdboden gleichgemacht. «Hier kann ich nicht leben. Zum Glück konnte ich in Kelek, einem weiteren Dorf von uns, eine Wohnung mieten», erzählt der Ingenieur, der sein Studium am Technischen Institut von Mosul begonnen hatte, es dann aber nach der Invasion des IS im kurdischen Erbil abschließen musste. Um die Miete zu bezahlen, arbeitet Saadi als Tagelöhner.

Da Saadi wie alle Kaka’i kurdisch spricht, fiel es ihm – im Gegensatz zu vielen Christen – nach der Flucht nicht so schwer, sich in Kurdistan zurechtzufinden, um auch einer Arbeit als Tagelöhner nachzugehen. Viele junge Kaka’i kämpfen zudem für die Peschmerga, erklärt Saadi: «Mein Bruder ist bei den Peschmerga. Auch mein Onkel kämpfte für sie. Leider wurde er letztes Jahr in der jesidischen Stadt Sindschar getötet.»

Fast alle Dorfbewohner sind zurück

Es waren die Peschmerga, die im Herbst 2016 alle Kaka’i-Dörfer zurückeroberten und den IS innerhalb weniger Wochen vertrieben. Auch das vollkommen zerstörte Kazikan war befreit. Der Mukhtar hielt daher eine rasche Rückkehr der Einwohner für dringend notwendig: «Es gab so viel zu tun, ich wollte nicht länger warten.» Ende 2016, nachdem alle Kämpfer abgezogen waren, kam er mit seiner Familie zurück nach Kazikan. Allmählich folgten auch die übrigen Dorfbewohner.

Im Juni 2017 waren bereits 90 % der Kaka’i wieder zurück. Zum Vergleich: In der nur wenige Kilometer entfernten christlichen Stadt Karakosch waren zur selben Zeit weniger als 2 % der ursprünglich 50 000 Einwohner zurückgekehrt.

Einfacher Lebensstil und fast eigenständig

Die Kaka’i leben hauptsächlich von Landwirtschaft und Tierhaltung. Alle Dörfer am Ufer des Oberen Zab sind sehr bescheiden, mit einer Schule, einem kleinen Lebensmittelladen und einem Dutzend Häuser, von denen die meisten unverändert im Stil der frühen Kultur Mesopotamiens erbaut sind.

«Als der IS kam, haben wir fast unser gesamtes Vieh verloren», erzählte uns einer der Einwohner. Einige der Tiere brachen aus, andere wurden eingefangen und geschlachtet. Die IS-Kämpfer haben auch einige Felder vermint. Die Entminung wird wohl noch lange Zeit in Anspruch nehmen.

Wiederaufbau – Suleiman packt an

Die Dorfbewohner wirken fest entschlossen, den Mut nicht zu verlieren und den Wiederaufbau voranzutreiben. «Alles, was ihr hier seht, haben wir selbst wieder aufgebaut», erklärte der 50-jährige Mukaram Suleiman stolz, der uns sein wiederaufgebautes Haus und den üppigen Garten zeigte. Er ist erst vor zwei Monaten zurückgekehrt, doch einiges vom Gemüse ist bereits reif.

Suleiman floh mit seiner Familie nach der IS-Invasion nach Erbil, wo sein fünftes Kind zur Welt kam. Auch er konnte sich im Kurdengebiet rasch integrieren, mietete dort einen Garten und konnte sich so ein Stück weit selbst versorgen.

Nach der Rückeroberung von Kazikan bestand für Suleiman kein Zweifel, dass seine Familie möglichst schnell wieder zurückkehren würde. Da sein Haus bereits fertig ist, hilft er nun anderen beim Wiederaufbau: «Für uns hat die Dorfgemeinschaft immer eine zentrale Rolle gespielt», sagt der Mann. «Schöne Momente feiern wir gemeinsam, und wenn einer von uns in einer Notlage ist, helfen ihm alle.» Der fünffache Familienvater strahlt viel Lebensfreude aus. Er bedankt sich bei CSI herzlich für den Hygienekorb: «Ihr Besuch ist für uns eine große Ermutigung.»

 

Hélène Rey | Reto Baliarda

 


 

Sind die Kaka’i Muslime?

Die vorwiegend schiitisch-persischen Länder zeichnen sich durch eine größere Vielfalt religiöser Überzeugungen aus als die arabisch-sunnitischen. In den Jahrhunderten nach der Einführung des Islam erlebten mystische und esoterische Strömungen eine Blütezeit. So entwickelte sich der Islam der Kaka’i, die Teil der Glaubensgemeinschaft von den Ahl-e-Haqq («Volk der Wahrheit») sind. Sie werden manchmal als eine andersgläubige schiitische Sekte oder als eine Art Sufi-Orden betrachtet. Alle Kaka’i, die CSI traf, bezeichneten sich selbst als Muslime.

Für viele orthodoxe Muslime – besonders die Sunniten – gehören die Kaka‘i dagegen nicht zum Islam, was immer wieder zu Verfolgungen geführt hat.