Experten: „Sanktionen führen dazu, dass Syrer verhungern!“

„Die Menschen in Syrien hungern bereits“, warnte der renommierte amerikanische Syrien-Kenner Professor Joshua Landis am 28. April 2021 bei einer online Veranstaltung des Quincy Institute, einer in Washington DC ansässigen Denkfabrik. „Medizinische Ausrüstung gelangt nicht ins Land. Die Preise sind markant gestiegen. Die Sanktionen gleichen einem Belagerungszustand. Sie sind Krieg mit anderen Mitteln und die Menschen werden in großer Zahl sterben“, so Landis.

Prof. Joshua Landis, Direktor des Zentrums für Nahoststudien an der Universität von Oklahoma, ist einer der führenden Syrien-Experten in den Vereinigten Staaten. Anlässlich der Podiumsdiskussion «The Human Rights Impact of Broad-Based Economic Sanctions» (Die menschenrechtlichen Auswirkungen von breit angelegten Wirtschaftssanktionen) sprachen auch Prof. Asli Bali von der Universität von Kalifornien (UCLA) und Peter Beinart, Kolumnist der New York Times. Sie alle äußerten ihre Kritik an den US-Sanktionsregimen weltweit.

Im August 2011 verhängten die USA ein verschärftes Sanktionsregime gegen Syrien, als Präsident Obama erstmals den Rücktritt von Syriens Machthaber Bashar al-Assad forderte. Die EU und andere Nationen schlossen sich den Sanktionen schnell an. Im Jahr 2020 setzten die USA den Caesar Act in Kraft, der Sanktionen gegen jede Einzelperson oder jedes Unternehmen weltweit durchsetzt, das sich am Wiederaufbau in Syrien beteiligt.

Landis: „Sanktionen führen dazu, dass Menschen verhungern

Joshua Landis erläuterte mit klaren Worten, wie der Caesar Act und andere Sanktionsmaßnahmen Syrien in den wirtschaftlichen Ruin und in die Massenarmut getrieben haben. Diese Maßnahmen erschweren die Durchführung von Finanztransaktionen und den Import von lebenswichtigen Gütern extrem. Ebenso schwierig ist es, die Infrastruktur oder auch die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. Mehr als 80 % der syrischen Bevölkerung leben heute unterhalb der Armutsgrenze, sagte Landis. Und selbst Menschen, die früher zur Oberschicht gehörten, sind inzwischen auf staatliche Hilfe angewiesen, um zu überleben.

Prof. Landis führte aus, dass viele Faktoren zur Verelendung der syrischen Bevölkerung beitragen, darunter die libanesische Bankenkrise und die enormen Schäden, die durch den bewaffneten internationalen Konflikt in Syrien entstanden sind. „Aber sicher ist, dass die Politik der Verweigerung von Ressourcen, der Sanktionierung und der Sabotage aller Bemühungen, Syrien zu versorgen, die Menschen wirklich verhungern läßt“, warnte Landis eindringlich.

Bali: „Keine Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen“

Professor Asli Bali, Jurist für Menschenrechte, bemerkte, dass bei umfassenden Sanktionen – anders als bei Kriegshandlungen – „eine Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen auch im Entferntesten nicht möglich ist“. Die wirtschaftlichen Folgen umfassender Sanktionen, so Bali, betreffen die Gesundheitseinrichtungen, die Wasserversorgung und die sanitäre Infrastruktur, ebenso wie den Zugang zu Bildung und notwendigen Lebensmitteln. Das Ergebnis sei erschütternd: „Sanktionen, die wir als ‚Aushungern von Assad‘ darstellen, sind in Wirklichkeit eine Form der kollektiven Bestrafung, die die Zivilbevölkerung aushungert.“

Während die Sanktionen gegen Syrien als Maßnahme zur Förderung der Menschenrechte und des Übergangs zur Demokratie gerechtfertigt werden, würden Sanktionen grundsätzlich eine extrem schlechte Erfolgsbilanz bei der Erreichung dieser Ziele aufweisen, stellten die Podiumsteilnehmer fest. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie „die Zivilbevölkerung viel abhängiger von genau dem Regime machen, von dem wir behaupten, dass wir es loswerden wollen“, betonte Bali.

Beinarts Vergleich mit dem Irak in den 90er Jahren

New York Times-Kolumnist Peter Beinart verglich die Situation in Syrien mit dem Sanktionsregime gegen den Irak in den 1990er Jahren, das laut UNICEF und anderen Behörden zum Tod von 500.000 Kindern geführt hatte. Beinart bemerkte, dass damals in Washington „jeder verdächtigt wurde, auf der Seite von Saddam Hussein zu stehen, wenn er oder sie die Sanktionen in Frage stellte.“ Beinart ermahnte die politischen Entscheidungsträger, diese „manichäische Sichtweise“ abzulehnen.

Eibner: „Auf die Stimme des syrischen Volkes hören!“

Aus Zürich meldete sich CSI-Präsident Dr. John Eibner zu Wort. Eibner lobte die Podiumsteilnehmer dafür, dass sie offen über die Kampagne der kollektiven Bestrafung gegen das syrische Volk diskutierten. „Welche legitimen Ziele die USA in Syrien auch immer haben mögen: Die gesamte Zivilbevölkerung dem Hunger und der wirtschaftlichen Verelendung auszusetzen, ist ein unmoralischer und illegaler Weg“, sagte Eibner.

Eibner verwies auf einen Offenen Brief, der am 21. Januar 2021 von 95 Würdenträgern, darunter sechs prominenten Kirchenführern aus Syrien, an US-Präsident Joe Biden geschickt wurde. In diesem Schreiben wird Biden aufgefordert, die Sanktionen aufzuheben, die dem syrischen Volk schaden. Dazu Eibner: „Es ist längst an der Zeit, dass die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, die Schweiz und andere sanktionierende Staaten auf die Stimme des syrischen Volkes und seiner Unterstützer hören und diese kollektive Bestrafung beenden.“

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