Familie durch den Überfall auseinandergerissen

Durch den schrecklichen Überfall von Boko Haram auf ihr Dorf Chinene verlor Mary Daniel (39) ihre Familie aus den Augen. Von ihrem Ehemann und einem Kind fehlt heute noch jede Spur. CSI traf die mutige Frau, die mehrmals fliehen musste, im Flüchtlingslager von Maiduguri.

CSI-Projektleiter Franco Majok konnte kürzlich zum ersten Mal nach Maiduguri reisen. Ein Besuch der Großtadt im Nordosten von Nigeria war für CSI bislang zu gefährlich, weil Boko Haram den lokalen Flughafen und die Zufahrtswege kontrollierte.

Die islamistische Terrormiliz, die vor allem im Nordosten Angst und Schrecken verbreitet, versuchte immer wieder, Maiduguri unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch seit die nige­rianische Regierung die Militärzentrale im Sommer 2015 nach Maiduguri verlegte, gelang es nach und nach, Boko Haram zurückzudrängen und die Lage in der Stadt zu stabilisieren. Nun ist auch der Flughafen wieder zugänglich.

Besonders bedrohlich bleibt die Lage aber für die Christen und gemäßigten Muslime, die außerhalb des militärischen Schutzgürtels um Maiduguri leben. Ihre Dörfer sind Überfällen von Boko Haram schutzlos ausgeliefert. Bei einem Angriff bleibt ihnen nur die Flucht.

Es ging allen gut

Auch die Familie von Mary Daniel musste aus Chinene (zwei Autostunden von Maiduguri) fliehen, als das Dorf von Boko Haram überrannt wurde. Noch heute werden die Zufahrten in ihr Dorf durch Boko Haram blockiert. Franco Majok traf die Christin im Februar 2017 im Flüchtlingslager der «Christian Association of Nigeria (CAN)» in Maiduguri. «Wir hatten ein sehr gutes Leben in Chinene. Als Bäuerin kümmerte ich mich um die Kühe. Dank unserer Schleifmaschine konnten wir ein zusätzliches Einkommen generieren», seufzt sie und ergänzt, dass sie und ihr Mann so genügend Geld verdienten, damit ihre Kinder in die Schule gehen konnten.

Kind verletzte sich bei der Flucht schwer

Im Sommer 2014 wurde Chinene nachmittags um 3 Uhr von Boko Haram überfallen. Die Gotteskrieger stürmten ins Dorf und eröffneten sogleich das Feuer. «Eine totale Panik brach bei uns aus. Meine Kinder rannten mit anderen Leuten davon, während mein Mann alleine aus dem Dorf floh. Ich selbst band mein jüngstes Kind um meinen Rücken und rannte so davon. Dabei stolperte ich und fiel hin. Mein Sohn verletzte sich schwer», beschreibt sie die schauderhaften Momente und ergänzt, dass ihr jüngstes Kind nach wie vor nicht gehen kann.

Die verzweifelte Mary floh alleine mit ihrem verletzten Kind auf dem Rücken in die nahe gelegenen Hügel, wo sie sich mit anderen geflohenen Christen über einen Monat versteckt hielt. «Wir hatten nichts zu essen dabei und mussten uns von wilden Beeren und Früchten ernähren.» Die unerträglichen Bedingungen in den Hügeln zwangen Mary, die Flucht fortzusetzen. Zusammen mit anderen Vertriebenen zog sie in die Stadt Madagali im Bundesstaat Adamawa.

Doch der offene Park, wo sie mit der Gruppe übernachtete, war auf die Länge ungeeignet. Deshalb floh sie weiter nach Maiduguri, wo sie schließlich in einem Flüchtlingslager der Christian Association of Nigeria (CAN), einer Dachorganisation der katholischen und protestantischen Kirchen, Unterschlupf fand.

Wiedersehen in Kamerun

Dass ihre Familie durch den Überfall von Boko Haram auseinander gerissen worden war, ließ Mary die ganze Zeit keine Ruhe. Da keimte in ihr ein Hoffnungsschimmer auf, als andere Lagerbewohner ihr berichteten, dass sich ihre Kinder in einem kirchlichen Flüchtlingslager in Kamerun befänden. So machte sie sich auf den Weg nach Kamerun. «Dort konnte ich sechs meiner Kinder wieder in die Arme schließen. Ich bin so dankbar dafür. Leider bleibt eines meiner Kinder bis heute unauffindbar», so Mary Daniel, die zwischen Freude und Trauer schwankt.

Mit sieben ihrer Kinder lebt Mary wieder im CAN-Flüchtlingscamp von Maiduguri. Sie ist froh, an einem einigermaßen sicheren Ort zu sein. Doch das Leben hier ist nicht einfach. Mit dem Verkauf von gesammeltem Brennholz hält sie ihre Familie knapp über Wasser. Sie kann jedoch damit nicht genügend Geld auf die Seite legen, um ihren Kindern einen Schulbesuch zu ermöglichen. Zudem vermisst sie ihren Ehemann, der angeblich in einem Flüchtlingslager von Kamerun untergebracht sein soll. «Ich habe ihn seit dem Überfall nicht mehr gesehen.» Da sie sich um die Kinder kümmern muss, konnte sie sich bisher nicht auf die Suche nach ihm machen.

Zusammen mit der katholischen Diözese von Maiduguri unterstützt CSI Christen, die aus den umliegenden Dörfern vor Boko Haram flüchten mussten. Unter anderem werden Lebensmittelpakete und Medikamente verteilt.

 

Reto Baliarda