Der syrisch-orthodoxe Priester Bruder Daniel unterstützt die geflohenen Christen im Irak mit all seiner Kraft. Deren missliche Lage bringt auch ihn manchmal an den Rand der Verzweiflung. Im Extremfall würde er bleiben, bis der zweitletzte Christ den Irak verlassen hätte.
Bei ihrer letzten gemeinsamen Irakreise trafen Nahost-Projektleiter John Eibner und sein Assistent Adrian Hartmann Bruder Daniel. Die Begegnung fand im Vorfeld einer Verteilaktion in der kurdischen Hauptstadt Erbil statt. Beim Gespräch erlebten sie einen engagierten, aber auch besorgten Priester.
Christen ohne Arbeit
Das Schicksal der aus der Ninive-Ebene vertriebenen Christen geht Bruder Daniel extrem nahe. Es sei ja nicht das erste Mal, dass die irakischen Christen verfolgt werden. «Nach 1915 und 1933 droht uns wieder ein Völkermord. In Syrien leiden die Christen zum ersten Mal. Doch hier im Irak waren wir immer wieder vom Genozid bedroht. Deshalb sind wir so verzweifelt.»
Zwar hätten die meisten Christen rechtzeitig der Terrormiliz Islamischer Staat entkommen und nach Kurdistan fliehen können. Doch fristen sie hier ein tristes Dasein. «Unser christliches Volk hier ist verunsichert und enttäuscht. Die Mehrheit findet keine Arbeit, weil sie kein Kurdisch spricht. Sie haben kaum eine Existenzgrundlage und sind von der Fürsorge der Kirche abhängig.»
«Wir können keine Garantie geben»
Als Kirchenvertreter kontaktiert Bruder Daniel ständig andere Organisationen, um Hilfe zu organisieren. Eigentlich, so bemerkt er, wäre es Aufgabe des Staates, sich um die finanzielle Notlage seiner Bürger zu sorgen. Doch dieser unternehme nichts. «Deshalb müssen wir in die Bresche springen und humanitäre Arbeit leisten.»
Doch auch als Seelsorger ist der junge Priester stark gefordert. Die Erwartungen an ihn sind hoch, manchmal zu hoch. «Die Leute fragen uns, ob wir ihnen garantieren können, dass sie nicht mehr angegriffen werden, wenn sie im Irak bleiben. Was soll ich ihnen sagen? Gott war im Sommer 2014 mit uns, sodass wir vor dem IS fliehen konnten. Doch welche Garantie haben wir, dass uns ein nächstes Mal die Flucht wieder gelingen würde?» fragt sich Bruder Daniel besorgt und fügt an: «Als Kirche haben wir uns stets gegen eine Auswanderung ausgesprochen und tun dies immer noch. Doch angesichts des enormen Drucks haben wir Verständnis, wenn die Christen den Irak verlassen möchten.»
Zu wenig Männer zum Heiraten
Die Aufgabe der Kirche sei es, sich für die verbliebenen Christen einzusetzen. Bruder Daniel knüpft dabei an die Hoffnung an, dass vor allem junge Männer im Land bleiben. Denn er macht sich Sorgen über die heranwachsenden jungen Frauen: «Wir haben zu wenig Männer, die diese heiraten und versorgen können.»
Doch damit der Exodus aus dem Irak langfristig abgewendet wird, bräuchte es nach einer Rückeroberung der Ninive-Ebene einen internationalen Schutz. Sonst werde es keine Sicherheitsgarantien geben. Auf John Eibners Hinweis, eine hohe amerikanische Beamtin hätte ihm mitgeteilt, dass die USA nicht mehr für die Christen tun können, entgegnet der Priester: «Wir setzen unser Vertrauen nicht auf diese Beamtin, sondern auf Gott.»
Als Letzter die Türe schliessen
Die Hoffnung auf Frieden im Irak hat Bruder Daniel trotz der düsteren Lage nicht verloren. Wohl sei es auch für die Geistlichen nicht einfach, den Druck im Land auszuhalten. «Wir kennen beispielsweise einen syrisch-orthodoxen Priester, der wegen massiver Drohungen aus der Stadt Kirkuk ausgewandert ist.» Er selbst werde jedoch den Irak nicht verlassen, solange noch ein anderer irakischer Christ in seiner Heimat sei. «Wenn mir jemand sagt, dass er als Letzter aus dem Irak ziehen wird, so entgegne ich ihm, dass ich da bleiben werde, um die Türe hinter ihm zu schliessen.»
Reto Baliarda
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