Der 49-jährige Muslim Saleh (Name geändert) aus dem Sudan hat im Auftrag von CSI schon Zehntausende versklavte Dinkas in die Freiheit geführt. In geheimen Aktionen bringt er sie vom Sudan zurück in ihre Heimat, den Südsudan. Im Interview mit CSI erzählt er von seiner gefährlichen Arbeit.
CSI: Seit wann engagieren Sie sich als Sklavenrückführer?
Saleh: 1991 unterschrieben ein Komitee von arabischen Stammesältesten aus Meiram (Sudan) und eine Gruppe Dinkahäuptlinge aus Warawar (heute Südsudan) ein lokales Friedensabkommen, das den Markt von Warawar für arabische Händler öffnete. Ich war einer dieser Händler. Während des Bürgerkriegs schmuggelte ich Ziegen vom Norden in den Süden. Die Menschen hier bemerkten, dass ich es schaffte, Ziegen über die Grenze zu bringen.
Die Dinkas erzählten uns Händlern, dass viele von ihren Leuten im Norden gefangen seien, und fragten uns, ob wir sie im Gegenzug für eine Kuh oder eine Ziege zurückbringen könnten. Wir überlegten, was wir tun könnten. Mein ältester Bruder führte schließlich 15 Sklaven zurück. Die Menschen hier im Süden waren sehr glücklich und erzählten es Paul Malong, dem lokalen Kommandanten der südsudanesischen Rebellen (SPLA). Dieser wiederum erzählte CSI davon.
Mein Bruder und ich arbeiteten zusammen: Ich brachte die ehemaligen Sklaven zurück in den Süden und er brachte die eingetauschten Waren in den Norden. Als uns dann CSI zu Hilfe kam, weiteten wir die Arbeit aus.
Wie läuft eine Sklavenbefreiung ab?
Wir haben im Sudan ein Komitee, das versucht, Sklaven aufzuspüren. Mit den Scheichs vor Ort schließen wir eine Vereinbarung ab: Wir bieten ihnen Impfstoff für ihr Vieh im Gegenzug dafür, dass sie ihre Sklaven freilassen. Daraufhin holen wir die Sklaven in kleinen Grüppchen ab und bringen sie zu einer Sammelstelle. Dann machen wir uns zusammen auf die Reise in den Süden.
Kommt es vor, dass Sklaven von ihren Haltern fliehen und zu Ihrer Gruppe hinzustoßen?
Ja, das kommt manchmal vor. Oft lassen die Sklavenhalter jene Sklaven gehen, die ihnen für die Arbeit nicht mehr nützlich sind. Wenn jedoch gesunde Sklaven entkommen, suchen ihre Halter nach ihnen und versuchen, sie mit Gewalt von uns wegzunehmen. Deswegen bemühe ich mich, entflohene Sklaven so schnell wie möglich in den Süden zu bringen.
Wie gehen Sie mit Sklavenhaltern um, die sich weigern, ihre Sklaven freizulassen?
Wir versuchen, sie um jeden Preis freizubekommen, und müssen oft darum kämpfen. Unser Komitee holt die Scheichs, mit denen wir eine Vereinbarung haben, um mit den Sklavenhaltern zu verhandeln, die sich weigern. Manchmal müssen wir ihnen die doppelte Menge Impfstoff geben, damit sie ihre Sklaven freilassen. Manchmal müssen die Scheichs die Sklaven mit Gewalt von ihren Herren holen.
Schalten Sie die Polizei ein?
Nein, die Regierung und die Polizei werden nie eingeschaltet. Selbst wenn sie uns helfen wollten – wenn wir versuchen würden, die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen, könnten wir nicht einen einzigen Sklaven befreien. Die Viehherden, wo die Sklaven arbeiten müssen, werden von Bewaffneten bewacht. Diese würden sich wehren, sie würden kämpfen und es nicht zulassen, dass die Polizei die Sklaven mit Gewalt befreit.
Wie läuft die Reise in den Süden ab?
Wenn wir alle Sklaven gesammelt haben, die wir befreien konnten, reisen wir über drei Zwischenstationen in den Süden. An jeder Station bleiben wir eine Woche. Wenn wir zwölf Stunden von der Grenze entfernt sind, lassen wir unsere Partner im Süden wissen, dass wir kommen. Dann warten wir auf die Nacht, um im Schutz der Dunkelheit die Grenze zu überqueren.
Kommt es vor, dass Menschen auf der Reise in den Süden sterben?
Ja, viele sind krank und sterben. Wenn jemand nicht gehen kann, besorgen wir Eselskarren. Ist jemand aber zu krank, um weiterzureisen, lassen wir ihn an einer unserer Zwischenstationen im Norden zurück, wo er sich vor der Weiterreise erholen kann.
Welchen Gefahren sind Sie selbst bei Ihrer Arbeit ausgesetzt?
Es gibt zwei große Gefahren: die sudanesische Regierung und bewaffnete Kriminelle. Vor zwei Monaten begegneten wir nördlich der Grenze einer Gruppe bewaffneter Banditen. Wir waren in großer Gefahr. Doch wirkliche Angst haben wir eigentlich vor der Regierung. Wenn wir Banditen begegnen, können wir mit ihnen verhandeln. Wenn jedoch die Regierung mich findet, werde ich verhaftet.
Wenn wir uns mit den befreiten Sklaven der Grenze nähern, können wir nicht einfach so auf die andere Seite. Wir müssen jedes Mal einen anderen, indirekten Weg nehmen, um nicht entdeckt zu werden. Deswegen dauern die Reisen immer länger. Und wenn ich dann zurück in den Sudan gehe, brauche ich eine Eskorte von Südsudanesen, sonst bekomme ich als Sudanese Probleme mit der südsudanesischen Armee.
Warum will die Regierung Sie aufhalten?
Die Regierung leugnet, dass es im Sudan Sklaverei gibt. Deswegen können sie nicht akzeptieren, was ich tue.
Sucht die Regierung nach Ihnen?
Ja. Ich habe Verwandte, die für die Regierung arbeiten, und die haben mir gesagt, dass ich verhaftet werde, wenn man mich findet.
2011 kamen Polizisten in meine Heimatstadt. Jemand hatte mich verraten. Ich war gerade im Südsudan unterwegs. Sie nahmen meine Mutter fest und warfen sie in Khartum ins Gefängnis. Dort musste sie fünf Monate lang bleiben und wurde gefoltert. Sie wollten Auskunft über mich. Als sie freigelassen wurde, war sie auf einer Seite gelähmt; bald darauf starb sie. Das ist das Schlimmste, was mir je passiert ist: Ich war verantwortlich für meine Mutter und sie starb wegen meiner Arbeit.
Weiß Ihre Familie über Ihre Arbeit Bescheid?
Nein, meine Arbeit ist geheim. Ich habe eine Frau und vier Kinder – ich kann ihnen und meinen Freunden nicht von meiner Arbeit erzählen. Sie wissen nur, dass ich Händler bin.
Was denken Sie persönlich über die Sklaverei?
Eines ist sicher: Solange das Regierungssystem im Sudan nicht grundlegend geändert wird, wird auch die Sklaverei nicht aufhören.
Werden Sie und die anderen Sklavenrückführer alle zurückbringen können, die während des Bürgerkriegs 1983–2005 versklavt wurden?
Ja. Wenn sie bei den Viehherden arbeiten, können wir sie zurückbringen. Wir könnten sogar anfangen, sie in Gruppen von 300 Sklaven zurückzubringen, anstatt nur 200 auf einmal.
Wie viele Sklaven gibt es noch im Sudan?
Es gibt noch sehr viele. Um eine Herde von 100 Kühen zu hüten, braucht man vier Sklaven. Eine Familie im Sudan kann bis zu 10 000 Kühe haben. Und dann gibt es Sklaven, die auf den Farmen oder an anderen Orten arbeiten. Es gibt auch viele Gegenden, wo wir noch nie hingekommen sind.
Werden Sie noch dorthin gehen?
Ja. Wir wissen, wie man die Sklaven dort herausbekommt. Dies ist humanitäre Arbeit. Sklaven zu befreien ist eine gute Arbeit. Es ist gut für Menschen, frei zu sein. Wir sind sehr froh, dass die südsudanesische Regierung unsere Arbeit begrüßt. Aber wir sind sehr unglücklich mit der sudanesischen Regierung. Ich habe wegen meiner Arbeit schon viel Leid erfahren. Aber ich werde nicht aufgeben – ich habe schon zu viel verloren, um jetzt aufzugeben.
Was möchten Sie den Menschen in Amerika und Europa mitteilen?
Bitte helfen Sie uns, diese Menschen aus der Sklaverei zu befreien. Wir wollen jeden einzelnen von ihnen zurück in die Freiheit bringen.
Autoren: Luise Fast | Joel Veldkamp