Auch wenn die Religionsfreiheit in der indischen Verfassung garantiert ist, wird die Lage für die religiösen Minderheiten immer bedrohlicher. Die Übergriffe von Hindu-Extremisten auf Christen und anderen Minderheiten haben in diesem Jahr stark zugenommen. Die indische Anwältin Singh macht sich große Sorgen und fordert, dass die Täter konsequent bestraft werden.
Indien ist ein demokratisches Land mit religiöser Vielfältigkeit, hält Singh in einem Bericht fest. Bei einer überwiegenden Mehrheit von Hindus beheimatet das Land auch Muslime, Christen, Juden sowie Sikhs, Buddhisten, Zoroastrer, Bahai und weitere Angehörige einer animistischen Religion.
Zunehmender Fundamentalismus
Ungeachtet dieser an sich positiven Gegebenheit nimmt in Indien der religiöse Fundamentalismus immer mehr überhand. Die Attacken auf religiöse Minderheiten nehmen seit Jahren stetig zu. Noch mehr Anlass zur Beunruhigung bereitet der Anwältin die unheilige Allianz zwischen den gewalttätigen, rechtsnationalistischen Hindu-Aktivisten und der Polizei sowie den lokalen Behörden. Nicht weniger besorgniserregend ist das Schweigen der regierenden, hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), womit die religiös motivierten Gewalttaten verharmlost und gebilligt werden.
Opfer werden zu Tätern
Einheimische Organisationen berichten von 177 Übergriffen auf Christen, die im Vorjahr verübt wurden. Die Dunkelziffer dürfte allerdings um Einiges höher sein. Im Vergleich dazu wurden alleine im ersten Halbjahr von 2016 über 100 Angriffe auf die christliche Minderheit gemeldet. Viele Opfer sind extrem verunsichert und verärgert, weil die Polizei sie nicht schützt. Im Gegenteil: Häufig macht die Polizei Opfer zu Tätern und verhält sich ihnen feindselig gegenüber: So weigern sich etliche Polizisten, einen Anzeigerapport auszufüllen und drohen stattdessen, gegen die angegriffenen Christen vorzugehen.
Der Wille, kriminelle Hindu-Extremisten angemessen zu bestrafen, fehlt auch in der Justiz. Anwältin Singh bezieht sich dabei auf das Massaker von Kandhamal von 2008, bei dem über 100 Christen ermordet wurden. Bei insgesamt 827 Anzeigen kam es lediglich zu 362 Gerichtsprozessen. Davon wurden nur gerade in 78 Fällen die Täter verurteilt.
Schockierende Beispiele von Übergriffen
Wie einfach Opfer zu Tätern gemacht werden können, zeigt ein Vorfall vom 21. Juni 2016, der sich im Bundesstaat Madhya Pradesh zutrug. 20 Mitglieder der militanten Hindu-Organisation «Bajrang Dal» stürmten die Kirche von Pastor Ramlal Kori. Sie verprügelten sowohl den Pastor als auch den anwesenden Christen Nandlal. Die beiden Opfer wurden anschließend verschleppt. Der alarmierten Polizei gelang es zwar, die Entführungsopfer um Mitternacht des 21. Juni wieder zu befreien. Doch sowohl lokale Hindus als auch Politiker setzten die Polizei unter Druck, sodass Pastor Ramlal und Nandlal in Untersuchungshaft genommen wurden. Gegen die beiden Christen wurde Anklage erhoben wegen Verletzung der religiösen Gefühle. Sie wurden schlussendlich gegen Kaution wieder freigelassen.
Ein weiterer Übergriff, der zwei Tage zuvor im Bundesstaat Tamil Nadu stattfand, weist auf die beängstigende Entwicklung der Religionsfreiheit in Indien hin. Sagayarai hatte zusammen mit anderen Christen im Haus eines Freundes ein Gebetstreffen abgehalten. Diese Treffen hatten in den vergangenen sechs Jahren regelmässig stattgefunden, ohne dass es jemals zu einem Zwischenfall gekommen war. Doch am 19. Juni 2016 drangen Hindu-Extremisten ins Haus ein. Einer der Angreifer schlug einem Mitglied mit der Faust mehrmals ins Gesicht, sodass dieses schlimme Verletzungen an den Ohren davontrug. Außerdem drohten die wütenden Hindus, die Christen zu töten, falls sie sich in der Gegend weiterhin zum Gebet treffen sollten. Gegen die Angreifer wurde eine Anzeige erstattet.
Empfehlungen an die Regierung
Die Übergriffe gegen religiöse Minderheiten in Indien häufen sich. Deshalb hat Anwältin Singh, die mit CSI zusammenarbeitet, Anträge an die indische Regierung gestellt:
- In Gebieten, in denen die Gefahr von religiös motivierten Übergriffen erhöht ist, sollen Polizeipatrouillen aufgestellt werden. Diese Polizisten müssen professionell und unparteiisch arbeiten.
- Personen, die sich an Übergriffen beteiligen oder andere zu Gewalttaten anstacheln, müssen konsequent bestraft werden. Empfehlenswert wären eigens dafür geschaffene Gerichte, damit die Täter schnell zur Rechenschaft gezogen werden können.
- Opfer von Übergriffen benötigen rasche und intensive Betreuung. Zudem sollten sie für ihre Rehabilitation eine angemessene finanzielle Entschädigung erhalten.