Projektleiter Gunnar Wiebalck war im Juli wieder in Pakistan vor Ort. Zusammen mit seinem Netzwerk hat er verfolgte Christen und Überlebende der Terroranschläge besucht. CSI leistet in Pakistan seit 2006 kurz- sowie langfristige Hilfe.
Sommer in Pakistan. Jetzt im Juli kann die Temperatur in Karachi und Lahore auf mehr als 40 Grad ansteigen. Meine Gastgeber haben meine europäische Kleidung mit dem Kamiz ausgetauscht, einem langem Hemd, das locker über der Pluderhose (Salwar) getragen wird und von der Hüfte abwärts aufgeschlitzt ist, um die Bewegungsfreiheit zu gewährleisten.
Heilung der Tochter führte zum Christentum
An einem geheimen Ort treffen wir Abdullah, der früher Moschee-Vorsteher war. Er hat sich vom «Ruet-e-Hilal» Komitee verabschiedet, dem erlauchten Kreis islamischer Gelehrter, die den Neumond analysieren und so den Zeitpunkt des Ramadan-Endes bestimmen. Seit der wunderbaren Heilung seiner 17-jährigen Tochter ist Abdullah kein Imam mehr. Mehr noch, er ist überzeugter Christ geworden.
2009 war Abdullahs Tochter dem Tode nahe und konnte nicht einmal mehr eine Teetasse halten. Eines Tages besuchte der Imam eine muslimische Familie, die einen Ziegelofen betrieb. Er sollte die Brennung segnen, damit alle Steine hart würden. Er kam mit einem der Arbeiter, der Christ war, über seine Tochter ins Gespräch. Zunächst lehnte Abdullah dessen Angebot ab, für das kranke Kind zu beten.
Dann aber sagte ihm ein befreundeter Mullah, das Gebet eines Christen könne etwas bewirken, wenn dieser wirklich an Jesus glaube. Abdullah kehrt zu dem Arbeiter zurück. Das Gebet dieses Mannes erweckte eine unerklärliche Kraft in ihm, am Ende betete er tränenüberströmt mit. Als seine Tochter ihre Augen aufschlug und sich vom Krankenlager erhob, begann Abdullah, an seinem bisherigen Glauben zu zweifeln. Kurz darauf wurde aus dem einst strenggläubigen Muslim ein Christ.
Seit sechs Jahren ist der ehemalige Imam gezwungen, in ständig neuen Verstecken zu leben. Seine muslimischen Bekannten und Verwandten reagierten feindselig, ja sogar gewalttätig auf seine Hinwendung zum Christentum. Selbst Kirchgemeinden wollten ihn nicht als Mitglied aufnehmen, zu gross war ihre Furcht vor Rache und Gewalt der Muslime. Trotzdem ist Abdullah jeden Sonntag an ständig wechselnden Orten in einem Gottesdienst zu finden.
Die Sorge der Kirchgemeinden in Pakistan ist begründet. Die Aufnahme eines prominenten Konvertiten in ihre Reihen kann existenzbedrohend sein, gehen Extremisten doch seit Jahren gezielt gegen alles Christliche im Land vor. Am 2. März 2011 wurde der Minister für religiöse Minderheiten, Shahbaz Bhatti, in der Hauptstadt Islamabad ermordet. In Peshawar und Lahore sprengten sich 2013 bzw. 2015 Selbstmordattentäter mitten unter Gottesdienstbesuchern in die Luft. Besonders gefährlich sind in Umlauf gesetzte Gerüchte, Christen hätten den Propheten Mohammed beleidigt. Dann werden wie z.B. in Gojra, in der St. Josephs-Kolonie von Lahore oder in Youhanabad ganze Stadtteile, in denen Tausende von Christen leben, terrorisiert und in Brand gesetzt. Viele Moscheen im Land radikalisieren fromme Muslime, und die Blasphemie-Gesetze tun ein Übriges.
Langfristige Hilfe für Terroropfer
Wir treffen auch Überlebende des Terroranschlags vom Ostersonntag. Am 27. März 2016 hatten im beliebten Gulshan-e-Iqbal-Park in Lahore mehr als 70 Menschen ihr Leben verloren, mehr als hundert blieben schwerverletzt liegen. Die Familie von Nazir und seiner Frau Soraja beklagte den Verlust ihres Sohnes Haroon, der die 26-jährige Witwe Sarah und die einjährige Areesha hinterlässt. Vier von CSI finanzierte Operationen retteten das Augenlicht von Seima, der Ehefrau ihres zweiten Sohnes Shahzad, der neben Haroon stand, aber unverletzt blieb. Seima verlor zudem noch ihren 14-jährigen Neffen Amanjohn und ihre 11-jährige Nichte Sahel.
Wiedersehen mit Patienten
CSI-Kontakte in Lahore organisierten am 5. Juli 2016 eine Lebensmittelverteilung für die Opfer des Attentats vom 15. März letzten Jahres. Es gab ein Wiedersehen mit den Patienten Qaisar, Yusuf und Iskende, deren Leben durch aufwendige und von CSI finanzierte Operationen gerettet werden konnte. Qaisar, der schwerste Verbrennungen am ganzen Körper erlitt, arbeitet mittlerweile wieder als Schneider. Iskenders Beinverletzung ist verheilt, und trotz dem Verlust seines rechten Auges fährt er wieder Motorrad. Auch Yusuf ist ins Leben zurückgekehrt, seine tiefen Wunden an Armen und Beinen sind vernarbt.
Es folgten Begegnungen mit den drei Knaben Shahbaz, Irfan und Adnan. Dem jungen Shahbaz musste nach der Explosion im Gulshan-e-Iqbal-Park ein Bein amputiert werden, Irfan und Adnan erlitten schwerste Unterleibsverletzungen und werden wohl den Rest ihres Lebens mit einem künstlichen Darmausgang verbringen müssen. Dem Patienten Qaisar Zaheer war ein Bombensplitter ins Gehirn gedrungen, sein Erinnerungsvermögen ist vollständig ausgelöscht. Ohne den Einsatz seiner ebenfalls verletzten Schwester Rachna, die den Bruder nicht aufgeben will, wäre er nicht mehr am Leben. «Ich bete täglich für meinen Bruder», sagt Rachna. Ihre Hoffnung ist, dass Mittel gefunden werden, um ihn durch eine Gehirnoperation wieder völlig heilen zu können.
Besonders tragisch ist auch der Fall von Sobia (siehe Titelbild) mit ihrem achtjährigen Sohn Farzal und seiner sechsjährigen Schwester Zeenat. Die Familie aus Faisalabad wollte die Ostertage bei Sobias Tante in Lahore verbringen. Am 27. März 2016 tötete das Attentat im Gulshan-e-Iqbalpark Sobias Mann Irfan. «Meine Kinder fragen immer noch ‹Warum kommt Papa nicht nach Hause?›», erzählt Sobia. Die Witwe ist mit ihren Kindern jetzt nach Youhanabad bei Lahore gezogen und lebt dort zusammen mit ihrer unverheirateten Schwester Soraja in einem fensterlosen Kellerraum.
CSI steht allen diesen Menschen zur Seite, bei Bedarf auch längerfristig. Denn wir möchten die Menschen nicht nach kurzem schon wieder ihrem Schicksal überlassen. Gemeinsam mit unserem lokalen Netzwerk können wir hier viel erreichen. Und unser Einsatz für die Verfolgten in Pakistan geht weiter. Auf Hilfe hoffen aber auch Menschen, die wegen Anklagen und Verfolgung ins Ausland geflüchtet sind, wie z.B. der Baptistenpfarrer von Gojra, Sarfraz Sagar und seine Familie. Die Begegnungen mit den glaubensstarken Opfern der Verheerungen des Terrors, aber auch mit Bekehrten wie Imam Abdullah machen immer wieder deutlich: Gott baut sein Reich gerade da, wo die Not am grössten ist.
Projektleiter Gunnar Wiebalck
* Namen geändert
Weiterer Bericht:
Lichtblick für die Anschlagsopfer von Lahore