Wenn das Lächeln des Buddha gefriert

«Jingle bells, jingle bells» singt die vierjährige Eman aus voller Kehle. Ihr jüngerer Bruder Jeshwia klatscht im Takt in die Hände. Es gelingt dem Geschwisterpaar, ein Lächeln auf die sonst so ernsten Gesichter seiner Eltern zu zaubern.

Denn zum Lachen ist es dem christlichen Ehepaar Eujan und Farhat aus Pakistan nämlich schon seit Langem nicht mehr zumute. Sie sind in den letzten Jahren durch eine fast ununterbrochene Zeit des Schreckens und der Not gegangen, zunächst in ihrer Heimatstadt Karachi, dann nach ihrer Flucht am 24. Dezember 2014 in einer winzigen Einzimmerwohnung mitten im thailändischen Bangkok.

Eman und Jeshwia fragen ihre Eltern fast täglich, warum sie nicht wie andere Kinder draussen im Freien spielen dürfen, ganz zu schweigen vom Besuch einer Kinderkrippe, eines Kindergartens oder einer Schule. Sie haben keinen Kontakt zu ihren thailändischen Altersgenossen und lernen infolgedessen auch die Sprache ihrer neuen Umgebung nicht. Die Kinder verstehen nicht, warum sie ihre Freunde und Verwandten in Pakistan nie wiedersehen werden. Sie sind zu jung, um zu begreifen, dass sie und ihre Eltern jahrelang auf die Anerkennung als Flüchtlinge warten müssen.

Einbruch markiert Beginn der langen Leidenszeit

Emans und Jeshwias Vater hat keinen Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. «Ohne unsere Flucht wären wir jetzt tot.» Eujan erzählt dem CSI-Präsidenten Herbert Meier vom Schicksal der Familie. Er zeigt diesem auch die Narben von Messerstichen am Gesicht und den Armen. «Ich hatte ein gutgehendes Immobilienbüro in Karachi», beginnt Eujan. «Es gab ein Auskommen, eine eigene Wohnung ein Auto in der Garage. In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 2014 kam eine Bande von Einbrechern. Als ich mich wehrte, verletzten sie mich mit einem Messer. Zusammen mit Nachbarn gelang es, zwei Mitglieder der Diebesbande festzuhalten und der Polizei zu übergeben.» Als sich später herausstellte, dass die Täter aus dem Umfeld des pakistanischen Geheimdienstes CID (Central Intelligence Department) stammten, sollte aus diesem Einbruch der Beginn einer Leidenszeit werden, die das Leben von Eujans Familie auf den Kopf stellte.

Um ein Verfahren vor dem Strafgericht und ihre Blossstellung zu verhindern, wollten die pakistanischen Geheimpolizisten Eujan zum Schweigen bringen. Am 12. Juni 2014 kamen deshalb dieselben Täter und entführten ihn aus seiner Wohnung. «Sie fuhren mich an einen weit entfernten Ort, folterten mich und verlangten den Widerruf meiner Aussagen und ein Lösegeld». Am Tag nach Eujans Entführung wagte seine Frau zusammen mit einem Verwandten den Gang zum CID-Büro in Karachi, um seine Freilassung zu erbitten. Doch die Beamten reagierten brutal. Die beiden wurden beleidigt und eingeschüchtert, mit dem Tod bedroht und schliesslich mit Stockhieben aus dem Gebäude getrieben.

Übertritt zum Islam, Mord und Todesdrohungen

Es folgte die Forderung, für die Freilassung von Eujan US$ 4000 zu bezahlen. Unter grössten Schwierigkeiten gelang es seiner Familie, die Summe zusammenzubringen und zu übergeben. «Der CID liess mich daraufhin frei», berichtete Eujan. «Aber ich musste mich verpflichten, innerhalb von vier Wochen zusammen mit meiner Familie zum Islam überzutreten.»

Der nächste Schrecken folgte auf dem Fusse. Kaum war Eujan wieder zu Hause, erreichte ihn die Nachricht von der Ermordung desjenigen Verwandten, der seine Freilassung erbeten hatte. «Seinen Sarg habe ich auf der Beerdigung noch mitgetragen», erinnert sich Eujan, «aber spätestens jetzt war klar, dass es in Pakistan keine Zukunft für uns gab.» Nach dem Fristablauf für den verlangten Übertritt zum Islam folgten Todesdrohungen, die Eujan zwangen, seinen Geschäftsbetrieb und seine Wohnung aufzugeben und sich und seine Familie an einem unbekannten Ort und schliesslich durch die Flucht nach Thailand in Sicherheit zu bringen.

Seither hausen Eujan, Farhat und ihre beiden Kinder hinter der Türe eines Appartement-Blocks in der Millionenstadt Bangkok. Nach Ablauf ihres Touristenvisums haben sie sich bei der für Flüchtlinge zuständigen Uno-Vertretung in Bangkok angemeldet. Erst am 29. Dezember 2019 soll dort das «RSD»-Interview (Refugee Status Determination) stattfinden, d. h. die Prüfung, ob sie als Flüchtlinge anerkannt werden oder nicht. Vor Eujan und seiner Familie liegen somit vier Jahre des Wartens in der Illegalität, in ständiger Angst vor Verhaftung und mit striktem Arbeits- und Ausbildungsverbot.

Gunnar Wiebalck, Projektleiter Pakistan


Keine Willkommenskultur

In Bangkok leben mehrere Hundert pakistanische Flüchtlingsfamilien unter ähnlich prekären Umständen, die meisten von ihnen sind Christen. Solange Thailand die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet und weder ein Flüchtlingsgesetz noch ein strukturiertes Asylverfahren einführt, wird sich an ihrem Schicksal nichts ändern.

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