Christentum und Menschenwürde

Eine Kolumne von Giuseppe Gracia

Die unantastbare Würde des Menschen: regelmäßig hören wir davon, von Politikern, in den Medien. Aber leben wir eigentlich danach? Denken wir nicht nur an die Opfer des Krieges, sondern auch an die verfolgten Christen weltweit? Versuchen wir, ihnen zu helfen? Behandeln wir den Menschen in unserer Umgebung so, als hätten sie eine unantastbare Würde? Sehen wir viel Würde und Respekt, wenn wir beobachten, wie Politiker, Arbeitskollegen oder Fremde miteinander umgehen? Sehen wir die Menschheit insgesamt als etwas Würdevolles – oder nicht eher als etwas Gefährliches, als Ursache von Krieg, Umweltzerstörung, Überbevölkerung?

 

Zumindest in Westeuropa scheint die Stimmung seit Jahren gereizt, freudlos, pessimistisch, wenn es um die Einstellung zur Menschheit geht. Man achtet Wälder und Blumen, setzt sich für den Erhalt von Bienen und Berggorillas ein, und natürlich für das Klima. Aber nicht für das werdende menschliche Leben. Umwelt-Ökologie ja, aber bitte keine Human-Ökologie. Auch für das Recht von Christinnen und Christen setzen sich wenige ein. Man scheint vergessen zu haben, dass das Christentum der Boden ist, auf dem die Menschenrechte stehen. Und die Seele des Menschen ist gemäß Christentum ewig. Dem naturwissenschaftlich verkürzten Blick von heute erscheint die Rede von Seele und Christentum eher wie die Unruhe eines komplizierten Affen. Hinzu kommt, dass wir uns selber zunehmend wie Leistungssubjekte betrachten. Wir behandeln uns als Gegenstand der Optimierung, sortieren unerwünschtes Leben schon am Anfang im Labor aus und treiben den alten, leistungsschwachen Menschen in die chemische Selbsttötung. Erfasst vom Sog einer entgrenzten Dynamik lassen wir uns „glätten“, bis wir das Humankapital darstellen, das sich die globalisierten Märkte wünschen.

 

Unantastbare Würde? Vielleicht müssen wir uns neu daran erinnern, was das bedeutet: Jeder Mensch, unabhängig von seinen Leistungen, seinen äußeren Merkmalen oder seiner gesellschaftlichen Stellung, ist einmalig und kostbar. Wir sind mehr als alles, was wir tun können oder was die Gesellschaft in uns sieht. Wir sind grösser, geheimnisvoller als alle unsere Selbstaussagen, unsere Urteile. Wir sind Wesen mit Geist und Seele. Wir übersteigen Gesellschaft und Natur. Wir sind eine Menschheitsfamilie, ein „mystischer Leib“ in Christus, wie die Christen sagen. Das verpflichtet uns, uns gegenseitig zu helfen. Ich weiß: das klingt heutzutage ziemlich abgehoben, naiv, sentimental. Aber es ist trotzdem wahr.

 

Giuseppe Gracia (55) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neues Buch «Die Utopia Methode» (Fontis Verlag, 2022) beleuchtet die Gefahren utopischer Politik.

Redaktioneller Hinweis: Kolumnen geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und nicht notwendigerweise die von CSI.