„Es herrscht ein Mangel an Medikamenten, besonders auch an Medikamenten für Krebstherapien.“

Dr. Nabil Antaki ist Arzt und auch während der Kämpfe in Aleppo geblieben. Als Mitbegründer und Leiter des Hilfswerks der Blauen Maristen berichtet der CSI-Partner von der Not der Menschen in Syrien. Ein Interview.

Verehrter Dr. Antaki, wie würden Sie die humanitäre Situation momentan in Syrien beschreiben?

Die humanitäre Situation in Syrien ist zurzeit einfach katastrophal. Sie ist schlimmer als zur Zeit des Krieges, als wir jeden Tag bombardiert wurden, als es jeden Tag Kämpfe gab. Es gibt unter anderem eine galoppierende Inflation, sodass die normalen Lebenskosten unermesslich gestiegen sind. Dazu kommt, dass der Großteil der Menschen finanziell das Ende des Monats gar nicht erreichen kann. Die Preise sind gestiegen, aber die Löhne und Gehälter sind weitgehend gleich geblieben. Die Armut hat auf diese Weise bedeutend zugenommen. Etwa 80 Prozent der Syrer leben unterhalb der Armutsgrenze. Genau deswegen, um überleben zu können, sind sie auf humanitäre Hilfe internationaler Organisationen und die der UNO angewiesen. Die Gehälter, die Löhne der Mehrzahl der Menschen in Syrien reicht nicht einmal aus, um ein paar Tage durchzukommen. Das ist einerseits natürlich der allgemeinen Armut geschuldet aber andererseits auch dem Mangel an wichtigen Wirtschaftsgütern. Es mangelt im Prinzip an allem: Weizen und damit Brot, Benzin, Heizöl. Seit Jahren frieren die Syrer. Wir haben keine Möglichkeit, im Winter zu heizen. Und der Winter in Syrien ist kalt, die Temperatur liegt immerhin zwischen zwei und sechs Grad im Schnitt. Ein belgischer Ordensmann, der seit 2017 in Syrien lebt, hat an seine Eltern geschrieben, dass er in seinem Leben noch nie so gefroren habe, wie seit seinem Aufenthalt in Syrien. Benzin und Elektrizität sind rationiert. Es gibt für jeden nur 25 Liter im Monat und zwei Stunden Elektrizität am Tag. Es herrscht ein Mangel an Medikamenten, besonders auch an Medikamenten für Krebstherapien. Diese Armut und diese Mängel an wichtigen Gütern führen dazu, dass die Syrer wirklich schwer leiden. Nur um diesen Punkt ein wenig zu herauszuheben und auch dann zu beenden, möchte ich sagen, dass ich von den Menschen, die ich in den vergangenen Monaten getroffen habe, immer gehört habe, „ein Leben in Syrien ist kaum noch möglich“.

Dr. Nabil Antaki – Christ, Arzt, verlässlicher CSI-Partner

Es wurde berichtet, dass es zu Cholera-Ausbrüchen kam und vor allem in den Flüchtlingslagern schwerwiegende Atemwegserkrankungen immer häufiger werden. Wie ist ganz allgemein die gesundheitliche Lage, die medizinische Versorgung im Land?

Tatsächlich gab es im Sommer 2022 einen Cholera-Ausbruch in Syrien. Dieser Cholera-Ausbruch folgte der COVID-19-Pandemie, die in vier Wellen über Syrien kam. Die sanitäre und gesundheitliche Situation ist in Syrien also nicht sehr gut. Zum einen natürlich, weil viel medizinisches Personal, Krankenpfleger und Ärzte, Syrien verlassen haben. Zum anderen sind unsere medizinischen Geräte uralt, sie müssten längst ausgetauscht werden, aber wir haben nicht die finanziellen Möglichkeiten dafür.

Inwiefern hat das Erdbeben vom Februar 2023 Auswirkungen auf die Situation gehabt?

Natürlich hat das Erdbeben die humanitäre Situation, die ohnehin schon angespannt war, deutlich verschlechtert. In diesem Zusammenhang muss ich auch feststellen, dass zwar hunderte Flugzeuge von außerhalb mit Hilfslieferungen in der Türkei angekommen sind, aber in Syrien aufgrund politischer Überlegungen nur sehr wenige. Der Generaldirektor des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes sah sich daraufhin gezwungen zu betonen, dass die Leiden der syrischen Bevölkerung aufgrund des Erdbebens genauso groß sind, wie die Leiden der türkischen Bevölkerung. Gerade im Hinblick darauf muss ich an dieser Stelle hervorheben, dass die internationalen katholischen Hilfsorganisationen und auch Christian Solidarity International sich in herausragender Weise großzügig gegenüber der syrischen Bevölkerung zeigten.

In welcher Form helfen Sie persönlich vor Ort?

Die Aufgabe, die Vision der Blauen Maristen, denen ich vorstehe, ist es, mit den Ärmsten die Solidarität zu leben und ihre Leiden zu lindern, den Menschen Perspektiven zu eröffnen und Hoffnung zu säen. Mit hundertfünfzig Ehrenamtlichen unterhalten wir vierzehn Programme zur Unterstützung, für Entwicklung und Bildung. Es würde zu weit führen, alle unsere Aktivitäten genau zu beschreiben. Dennoch so viel: Wir verteilen monatlich Nahrungskörbe an 1100 Familien, dann verteilen wir jeden Monat Milch an 3000 Kinder, außerdem kümmern wir uns um die Behandlung von 150 Kranken, indem wir die Kosten übernehmen, 250 Personen über 80 Jahre bekommen von uns täglich Nahrung in Form von Mahlzeiten. Aber natürlich wünschen wir uns, dass die Menschen in Würde und von ihrer Arbeit leben können. Zusätzlich haben wir daher Projekte laufen, über die wir dafür sorgen, dass die Jungen von ihrer Hände Arbeit leben können und nicht gezwungen sind, das Land zu verlassen.

Wie erfolgreich sind Sie damit?

In unserem Maßstab sehr. Wir haben beispielsweise auch Bildungsangebote, mit denen wir jungen Leuten helfen, ihre eigenen beruflichen Vorhaben zu verwirklichen. Und wir finanzieren dann jene Projekte, die rentabel zu sein versprechen und die als Berufsprojekte realistisch sind. Wir haben in diesem Verfahren schon 280 Existenzgründungen finanziert. Dann haben wir noch ein anderes Projekt, das ist die berufliche Förderung. Das Projekt richtet sich an jene, die kein eigenes Existenzgründungsmodell haben. Wir vermitteln diese Leute und bilden sie entsprechend aus, sodass sie als Lehrling bei einer Firma anfangen können, um dann irgendwann auf eigenen Beinen zu stehen. Die jungen Leute lernen zum Beispiel Elektriker für den Kommunikationstechnologiebereich oder Schreiner. Wir haben diese Berufsausbildung für circa 40 Jugendliche finanziert, die jetzt auch eine Arbeit gefunden haben.

Helfen Sie auch bei Kriegstraumata?

Ja, wir haben auch ein Projekt zur psychologischen Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die bei uns viel Tragisches miterleben mussten. So gibt es eine Vielzahl an Projekten, die ich alle gar nicht in der kurzen Zeit auflisten und beschreiben kann. Aber es ist Hilfe, Entwicklung und Bildung, was wir bieten können. Um zu unserem Slogan, wir möchten die Leiden der Menschen lindern, zurückzukommen: Wir wollen die Menschen ihre Fähigkeiten entwickeln lassen, wir wollen ihnen eine Arbeit geben, damit sie nicht auswandern, wir wollen auch immer die Hoffnung säen, dass es weiter geht, dass dann doch ein Licht am Ende des Tunnels für die Menschen aufscheint. Wir haben dabei natürlich auch immer das sekundäre Ziel, die Christen in Syrien zu behalten, im Auge. Unsere Zahl geht dramatisch zurück, und wenn wir dabei bedenken, dass Syrien die Wiege der Christenheit ist, ist das besonders traurig. Wir sind eigentlich die ersten Bewohner Syriens, wir sind keine Neubekehrten, wir sind Christen und hier seit der Zeit der Apostel. Die Christen sind wichtiger, wesentlicher Bestandteil des sozialen Gefüges in Syrien. Die Christen haben auch den Auftrag der Moderation in einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft.

Was können die Leute in Deutschland und Europa für die Notleidenden in Syrien tun?

Zunächst sollten die Menschen in Europa sich mit den Syrern solidarisch zeigen; man sollte keine politischen Urteile auf humanitäre Notsituationen anwenden. Natürlich können die Menschen Europas auch Hilfsorganisationen unterstützen, die in Syrien Gutes tun. Außerdem sollte sich die öffentliche Meinung in Europa bewusst sein, dass die Sanktionen der EU gegen Syrien nicht zielführend sowie ungerecht sind und zu nichts anderem dienen als der einfachen Bevölkerung das Leben unmöglich zu machen. Die öffentliche Meinung sollte auch dazu beitragen, dass Druck auf die politischen Verantwortlichen entsteht, um eine Bewegung zu schaffen, die dann zur Aufhebung der Sanktionen führt. Anders gesagt, wir wünschen uns, dass die syrische Bevölkerung in die internationale Gemeinschaft wieder integriert wird.

Welche Konsequenzen wird es haben, wenn es zu keiner Normalisierung der Situation kommt?

Die Armut, das Elend würde weiter stark wachsen. Die Menschen würden noch verzweifelter werden, noch hoffnungsloser, als sie es ohnehin jetzt schon sind, und noch mehr würden das Land verlassen. Wir sind der festen Meinung, dass dreizehn Jahre endlos scheinender Tragödie wirklich genug sind. Die Menschen in Syrien verdienen es nicht, was sie im Moment ertragen müssen. Syrien war früher ein stabiles, ein sicheres und auch ein aufstrebendes Land mit einer mehrtausendjährigen Geschichte und einer eigentlich wunderbaren Zukunft. Es gab vor dem Krieg sehr wenig Armut in Syrien, die Menschen lebten in Harmonie mit allen Bestandteilen der syrischen Gesellschaft. Ich spreche hier von den verschiedenen Bestandteilen, ob sie nun ethnisch oder religiös sind. Es gab keinen Fanatismus in Syrien. Worte wie „Dschihad“ und „Islamismus“ kamen im Wortschatz der Syrer überhaupt nicht vor.

Vielen Dank für das Gespräch! Wir sind stolz, Sie und die Blauen Maristen als verlässliche Partner zu haben!

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Fastenopfer 2024 – Hilfe für kranke Menschen in Syrien

50 versorgen fünf Menschen mit Medikamenten
100 garantieren regelmäßiges Essen auf Rädern für fünf Bedürftige
220 finanzieren eine einfache Operation
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