Jeder Mensch ein Original

Eine Kolumne von Giuseppe Gracia

Das Christentum lehrt uns, dass jeder Mensch von Gott gewollt, einmalig und unersetzbar ist. Dennoch haben wir die Angewohnheit, uns mit anderen zu vergleichen. Am liebsten mit Leuten, die glücklicher und lebensfroher wirken, als wir uns selber empfinden, und die mehr Geld haben oder mit attraktiveren Partnern aufwarten. Solche Vergleiche sind eine Sünde, die wie jede Sünde zu immer neuen Sünden führt, zu Neid und Gier bis hin zu Eifersucht und Totschlag.

 

Auch der dänische Schriftsteller Søren Kierkegaard (1813 – 1855) warnte: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“ Kierkegaard lebte allerdings in einer Zeit ohne Facebook, Instagram und Snapchat. Es war für ihn einfacher, sich gegen die Seuche des Vergleichens zu wappnen. Heute ist diese Seuche nur einen Klick entfernt, rund um die Uhr, weltweit. Schaffe ich mehr Likes und Follower? Poste ich das schönere Leben mit dem größeren digitalen Applaus? Das Dasein im Internet-Schaufenster schraubt die Erwartungen in ungekannte Höhen. Wenn nicht die Bühne einer Topkarriere, dann will ich wenigstens tolle Abenteuer, einen tollen Body mit vielen authentischen Emotionen. Und natürlich den coolsten Job. Bis keine real vorhandene Arbeit mehr mithalten kann, sowenig wie ein real existierender Lebenspartner.

 

Dennoch hat jeder Mensch von Geburt eine Würde, ganz unabhängig von der Gesellschaft und den Idealen der herrschenden Kultur. Jeder ist wertvoll ohne den Applaus der Außenwelt. So gesehen verbreitet das Internet-Schaufenster nicht nur eine verhängnisvolle Vergleichitis, sondern sie schwächt das Bewusstsein für die Menschenwürde. Natürlich stimmt es, dass die sozialen Medien, wie jede Technologie, den Menschen dienlich sein und das Leben besser machen können. Noch nie in der Geschichte konnten wir unabhängig von Zeit und Ort miteinander so schnell in Verbindung treten – eine schöne Sache. Sie darf aber nicht zum Jahrmarkt der Entwürdigung werden. Wir müssen darauf achten, dass der Philosoph Kaspar Schmidt (1806 – 1856) nicht Recht behält mit dem Satz: „Jeder Mensch wird als Original geboren, aber die meisten sterben als Kopie.“

 

 

Giuseppe Gracia (55) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman «Schwarzer Winter» (Fontis Verlag, 2023) handelt von terroristischen Klimaaktivisten.

Redaktioneller Hinweis: Kolumnen geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und nicht notwendigerweise die von CSI.