Wachsender Druck auf religiöse Minderheiten

In vielen Teilen Indiens geraten Minderheiten zusehends unter Druck. Die politische Absicht, Nationalismus mit Religion zu verknüpfen, und die gesellschaftliche Ablehnung religiöser Minderheiten führen zunehmend zu Benachteiligungen und Übergriffen. CSI setzt sich für die Opfer ein.

Anlässlich der Unabhängigkeitsfeier im August präsentierte sich die BJP der Weltöffentlichkeit als Vorkämpfer für Demokratie und beschwor die Religionsfreiheit für Indien. Doch weder das Parteiprogramm noch die tatsächlichen politischen Entwicklungen im Lande lassen einen Zweifel daran, dass religiöse Minderheiten einen zunehmend schweren Stand im Land haben. Seit die BJP auf Bundesebene an der Macht ist, verzeichnen CSI und andere Beobachtungsstellen einen deutlichen Anstieg von Übergriffen, Lynchattacken, Morden und unterschiedlichen Formen von Diskriminierung.

Ein Land – eine Religion?

Ursächlich dafür ist vor allem das von der BJP propagierte hindu-nationalistische Gesellschaftsmodell, das die Zugehörigkeit zur indischen Nation unmittelbar mit der Religion verknüpft. Die BJP verfolgt das Ziel, den nationalen Zusammenhalt im Land auch durch religiöse Einheit und somit auf Kosten von religiösen Minderheiten zu fördern. Dabei werden bestehende Vorbehalte gegen reli­giöse Minderheiten geschickt gefördert. So gelten etwa Christen vielen Menschen in Indien immer noch als Symbol für westliche Unterdrückung und kulturellen Imperialismus, Kirchen als Ausdruck von Fremdherrschaft.

Der besorgniserregende Rückhalt, den die BJP in der Bevölkerung hat, zeigt sich auch in ihren Wahlerfolgen. So wurde im März 2017 der Hinduextremist Yogi Adityanath zum Ministerpräsidenten des größten und politisch einflussreichsten Staates Uttar Pradesh gewählt. Adityanath ist ein starker Streiter für «Hindu Rashtra», das heißt für ein 100 %-hinduistisches Indien. Und im Juli gewann Ram Kovind die Wahlen zum Präsidenten Indiens haushoch. Ram Kovind gehört im hinduistischen Kastensystem zur niedrigsten Stufe, den Dalits. Trotzdem machte er in hindu-nationalistischen Kreisen Karriere. In der BJP gilt er darum als Beweis dafür, dass das Kastensystem die soziale Entwicklung nicht unbedingt behindere. Die große Problematik der Unberührbaren, zu denen auch viele Christen und Buddhisten gehören, wird damit unter den Tisch gefegt.

Da die Ausgrenzung von religiösen Minderheiten als politisches Programm so erfolgreich ist, verwundert es nicht, dass sich viele extremistische Gruppierungen geradezu ermutigt fühlen, zur Gewalt gegen Angehörige von religiösen Minderheiten aufzurufen. Und leider scheuen sie sich nicht, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Insbesondere, da sie in der gegenwärtigen Lage kaum mit ernsthafter Strafverfolgung rechnen müssen. Häufig schaut die Polizei bei solchen Vorfällen weg oder, schlimmer noch, unterstützt die Extremisten. Immer wieder kommt es vor, dass die Polizei nach einem Übergriff sogar gegen die Opfer vorgeht, sie verhaftet, brutalen Verhören unterzieht oder sogar eigenständig Anklage gegen sie erhebt.

Allein in diesem Jahr hat sich die Zahl der registrierten Angriffe – über die Dunkelziffer möchte man gar nicht nachdenken – auf religiöse Minderheiten im Vergleich zum gesamten Vorjahr bereits fast verdoppelt. Gegen die Christen sind es durchschnittlich 68 Fälle pro Monat. Gegen Muslime ist die Zahl sogar noch höher. «Beunruhigend ist die Zunahme von körperlicher Gewalt bis hin zu Mord. Dieser Trend ist wirklich erschreckend und bedrohlich», so Anwältin Arora. Es herrsche ein Klima der Angst und leider müssten die Menschen immer häufiger erleben, dass ihre Ängste schreckliche Realität werden.

Die Arbeit von Anwältin Kumar setzt an diesem Gefühl der Schutz- und Hilflosigkeit an. Gemeinsam mit einem Team aus Juristen und Sozialarbeitern bietet sie Opfern von religiöser Gewalt und Diskriminierung eine breite Betreuung an. Zum Programm gehört eine landesweite Telefon-Hotline, die den verunsicherten Opfern oder Angehörigen eine erste Anlaufstelle bietet. Hier können sich Betroffene mit Fragen hinwenden und erhalten eine erste Beratung. Doch auch auf anderen Wegen gelangen Opfer an Kumar und ihr Team, das übrigens inzwischen zu einem landesweiten Netzwerk mit professionellen Mitarbeitern und freiwilligen Helfern herangewachsen ist.

Dank Hilfe einer Gefängnis­strafe entkommen

So wurden zum Beispiel die beiden Pastoren Sanjay und Abul von Kumars Team begleitet. Vor knapp zwei Jahren wiegelten Extremisten einen großen Mob gegen die beiden auf, der sie schwer misshandelte. Auf dem Polizeiposten wurden sie verhört, nochmals geschlagen und für über zwei Monate unter übelsten Bedingungen im Gefängnis gefangen gehalten. Seit sie wieder frei sind, werden sie und ihre Familien häufig belästigt und bedroht, immer wieder auch mit dem Tod. Im letzten Jahr wurden sie zusätzlich wegen Blasphemievorwürfen angeklagt.

In all dieser Zeit waren Juristen und Sozialarbeiter an der Seite der Familien. Dank ihrem unermüdlichen Einsatz, gerade auch vor Gericht, konnte eine Verurteilung und entsprechend lange Haftstrafe verhindert werden. Nach vielen Monaten voller Bangen wurden Sanjay und Abul im Juli 2017 freigesprochen. Die Erleichterung und Freude bei beiden Familien war riesig, auch weil sie erleben durften, dass jemand an ihrer Seite stand und für ihre Sicherheit und Freiheit kämpfte.

Unser Team im ständigen Einsatz

Angesichts der sich verschlechternden Gesamtsituation nimmt auch die Arbeit für das Team von Kumar, der CSI-Partnerin, zu. Doch sie stellt sich diesen wachsenden Herausforderungen mit großem Mut und Tatkraft: «Wir sind für die finanzielle Unterstützung und die Zusammenarbeit mit CSI sehr dankbar. So konnten wir unser Team von Anwälten und Sozialarbeitern immer weiter ausbauen. Inzwischen haben wir bereits in acht verschiedenen Bundesstaaten ein Büro eröffnet. So können wir schneller und besser reagieren.»

Die seit 2015 aufgeschaltete Notfallnummer ist zusätzlich ein wichtiges Werkzeug. Weit über tausend Menschen haben sie bisher genutzt. «Sobald wir einen Anruf erhalten, der weitere Untersuchungen erforderlich macht, können wir unsere Kontakte zu dem aufgebauten lokalen Netzwerk von Anwälten und Sozialarbeitern aktivieren. Inzwischen ist gewährleistet, dass Opfer landesweit betreut werden können. «Wir sind sehr dankbar, dass wir innerhalb der letzten vier Jahre das Team, das Netzwerk und die Notfallnummer aufbauen konnten. So sind wir in der Lage, viel mehr Menschen zu helfen als je zuvor.

Außerdem werden nun viel mehr Übergriffe aufgenommen, registriert und zur Anzeige gebracht. Die Dunkelziffer geht zurück und das Unrecht wird an die Öffentlichkeit getragen», erklärt Kumar und man spürt ihr die Begeisterung über diese neuen Möglichkeiten ab, auch wenn die vielen traurigen Vorfälle nicht spurlos an ihr vorübergehen. «Es bricht mir jedesmal fast das Herz, wenn ich die Geschichten der Opfer höre. Aber dann denke ich daran, wie sehr wir den Opfern mit juristischer und psychologischer Unterstützung helfen können! Das ist es wert, dran zu bleiben und nicht aufzugeben.»